Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Deinem Tadel, von der Strafe der Götter gedemüthigt
werde."

"Du hast Recht," antwortete die Blinde, "aber ich
fühle gar wohl, daß ich nur wenig über ihn vermag. Er
ist zu sehr gewohnt seinen eignen Willen zu haben, als
daß er irgend einem Rathe, und käme derselbe auch von
seiner Mutter, folgen möchte."

"Aber er wird wenigstens hören müssen, was Du
ihm räthst," gab Krösus zurück; "und damit ist schon viel
gewonnen, denn wenn er auch Deine Lehren nicht befolgt,
so werden dieselben dennoch als Götterstimmen in seinem
Busen fortklingen und ihn von manchem Frevel zurückhal-
ten. Jch will Dein Verbündeter bleiben, denn auch ich,
den ihm sein sterbender Vater zu achten und zu ehren
anbefahl, darf manchmal wagen, mit einem kühnen
Worte seinen Ausschreitungen entgegen zu treten. Wir
Beide sind die einzigen Menschen an diesem ganzen Hofe,
deren Tadel er scheut; wir allein dürfen uns unterfangen,
ihm unsre Meinung zu sagen. Seien wir muthig und
verwalten wir treulich unser Mahnungsamt; aus Liebe zu
Persien, aus Liebe zu dem verstorbenen Kyros, aus Liebe
zu Deinem stolzen Sohne. Jch weiß, daß Du beklagst,
ihn nicht anders erzogen zu haben; die Nachreue aber
muß man fliehen wie schädliches Gift. ,Bessermachen'
nicht ,Reue' ist das Heilmittel für die Fehler der Weisen;
denn die Reue verzehrt das Herz, das Bessermachen aber
füllt es mit edlem Stolz und zwingt es zu volleren
Schlägen."

"Bei uns in Aegypten," sagte Nitetis, "zählt man die
Reue sogar zu den zweiundvierzig Todsünden. ,Du darfst
Dein Herz nicht verzehren', also lautet Eins unsrer hohen
Gebote 35)."

Deinem Tadel, von der Strafe der Götter gedemüthigt
werde.“

„Du haſt Recht,“ antwortete die Blinde, „aber ich
fühle gar wohl, daß ich nur wenig über ihn vermag. Er
iſt zu ſehr gewohnt ſeinen eignen Willen zu haben, als
daß er irgend einem Rathe, und käme derſelbe auch von
ſeiner Mutter, folgen möchte.“

„Aber er wird wenigſtens hören müſſen, was Du
ihm räthſt,“ gab Kröſus zurück; „und damit iſt ſchon viel
gewonnen, denn wenn er auch Deine Lehren nicht befolgt,
ſo werden dieſelben dennoch als Götterſtimmen in ſeinem
Buſen fortklingen und ihn von manchem Frevel zurückhal-
ten. Jch will Dein Verbündeter bleiben, denn auch ich,
den ihm ſein ſterbender Vater zu achten und zu ehren
anbefahl, darf manchmal wagen, mit einem kühnen
Worte ſeinen Ausſchreitungen entgegen zu treten. Wir
Beide ſind die einzigen Menſchen an dieſem ganzen Hofe,
deren Tadel er ſcheut; wir allein dürfen uns unterfangen,
ihm unſre Meinung zu ſagen. Seien wir muthig und
verwalten wir treulich unſer Mahnungsamt; aus Liebe zu
Perſien, aus Liebe zu dem verſtorbenen Kyros, aus Liebe
zu Deinem ſtolzen Sohne. Jch weiß, daß Du beklagſt,
ihn nicht anders erzogen zu haben; die Nachreue aber
muß man fliehen wie ſchädliches Gift. ‚Beſſermachen‘
nicht ‚Reue‘ iſt das Heilmittel für die Fehler der Weiſen;
denn die Reue verzehrt das Herz, das Beſſermachen aber
füllt es mit edlem Stolz und zwingt es zu volleren
Schlägen.“

„Bei uns in Aegypten,“ ſagte Nitetis, „zählt man die
Reue ſogar zu den zweiundvierzig Todſünden. ‚Du darfſt
Dein Herz nicht verzehren‘, alſo lautet Eins unſrer hohen
Gebote 35).“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0048" n="46"/>
Deinem Tadel, von der Strafe der Götter gedemüthigt<lb/>
werde.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du ha&#x017F;t Recht,&#x201C; antwortete die Blinde, &#x201E;aber ich<lb/>
fühle gar wohl, daß ich nur wenig über ihn vermag. Er<lb/>
i&#x017F;t zu &#x017F;ehr gewohnt &#x017F;einen eignen Willen zu haben, als<lb/>
daß er irgend einem Rathe, und käme der&#x017F;elbe auch von<lb/>
&#x017F;einer Mutter, folgen möchte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber er wird wenig&#x017F;tens hören mü&#x017F;&#x017F;en, was Du<lb/>
ihm räth&#x017F;t,&#x201C; gab Krö&#x017F;us zurück; &#x201E;und damit i&#x017F;t &#x017F;chon viel<lb/>
gewonnen, denn wenn er auch Deine Lehren nicht befolgt,<lb/>
&#x017F;o werden die&#x017F;elben dennoch als Götter&#x017F;timmen in &#x017F;einem<lb/>
Bu&#x017F;en fortklingen und ihn von manchem Frevel zurückhal-<lb/>
ten. Jch will Dein Verbündeter bleiben, denn auch ich,<lb/>
den ihm &#x017F;ein &#x017F;terbender Vater zu achten und zu ehren<lb/>
anbefahl, darf manchmal wagen, mit einem kühnen<lb/>
Worte &#x017F;einen Aus&#x017F;chreitungen entgegen zu treten. Wir<lb/>
Beide &#x017F;ind die einzigen Men&#x017F;chen an die&#x017F;em ganzen Hofe,<lb/>
deren Tadel er &#x017F;cheut; wir allein dürfen uns unterfangen,<lb/>
ihm un&#x017F;re Meinung zu &#x017F;agen. Seien wir muthig und<lb/>
verwalten wir treulich un&#x017F;er Mahnungsamt; aus Liebe zu<lb/>
Per&#x017F;ien, aus Liebe zu dem ver&#x017F;torbenen Kyros, aus Liebe<lb/>
zu Deinem &#x017F;tolzen Sohne. Jch weiß, daß Du beklag&#x017F;t,<lb/>
ihn nicht anders erzogen zu haben; die Nachreue aber<lb/>
muß man fliehen wie &#x017F;chädliches Gift. &#x201A;Be&#x017F;&#x017F;ermachen&#x2018;<lb/>
nicht &#x201A;Reue&#x2018; i&#x017F;t das Heilmittel für die Fehler der Wei&#x017F;en;<lb/>
denn die Reue verzehrt das Herz, das Be&#x017F;&#x017F;ermachen aber<lb/>
füllt es mit edlem Stolz und zwingt es zu volleren<lb/>
Schlägen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Bei uns in Aegypten,&#x201C; &#x017F;agte Nitetis, &#x201E;zählt man die<lb/>
Reue &#x017F;ogar zu den zweiundvierzig Tod&#x017F;ünden. &#x201A;Du darf&#x017F;t<lb/>
Dein Herz nicht verzehren&#x2018;, al&#x017F;o lautet Eins un&#x017F;rer hohen<lb/>
Gebote <hi rendition="#sup">35</hi>).&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0048] Deinem Tadel, von der Strafe der Götter gedemüthigt werde.“ „Du haſt Recht,“ antwortete die Blinde, „aber ich fühle gar wohl, daß ich nur wenig über ihn vermag. Er iſt zu ſehr gewohnt ſeinen eignen Willen zu haben, als daß er irgend einem Rathe, und käme derſelbe auch von ſeiner Mutter, folgen möchte.“ „Aber er wird wenigſtens hören müſſen, was Du ihm räthſt,“ gab Kröſus zurück; „und damit iſt ſchon viel gewonnen, denn wenn er auch Deine Lehren nicht befolgt, ſo werden dieſelben dennoch als Götterſtimmen in ſeinem Buſen fortklingen und ihn von manchem Frevel zurückhal- ten. Jch will Dein Verbündeter bleiben, denn auch ich, den ihm ſein ſterbender Vater zu achten und zu ehren anbefahl, darf manchmal wagen, mit einem kühnen Worte ſeinen Ausſchreitungen entgegen zu treten. Wir Beide ſind die einzigen Menſchen an dieſem ganzen Hofe, deren Tadel er ſcheut; wir allein dürfen uns unterfangen, ihm unſre Meinung zu ſagen. Seien wir muthig und verwalten wir treulich unſer Mahnungsamt; aus Liebe zu Perſien, aus Liebe zu dem verſtorbenen Kyros, aus Liebe zu Deinem ſtolzen Sohne. Jch weiß, daß Du beklagſt, ihn nicht anders erzogen zu haben; die Nachreue aber muß man fliehen wie ſchädliches Gift. ‚Beſſermachen‘ nicht ‚Reue‘ iſt das Heilmittel für die Fehler der Weiſen; denn die Reue verzehrt das Herz, das Beſſermachen aber füllt es mit edlem Stolz und zwingt es zu volleren Schlägen.“ „Bei uns in Aegypten,“ ſagte Nitetis, „zählt man die Reue ſogar zu den zweiundvierzig Todſünden. ‚Du darfſt Dein Herz nicht verzehren‘, alſo lautet Eins unſrer hohen Gebote 35).“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/48
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/48>, abgerufen am 03.12.2024.