Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.Mutter, wenn er die Aegypterin dort zu finden vermuthete, Das schöne, ernste Mädchen übte auf den unbändigen, Krösus, Kassandane und Atossa merkten sehr bald, Mutter, wenn er die Aegypterin dort zu finden vermuthete, Das ſchöne, ernſte Mädchen übte auf den unbändigen, Kröſus, Kaſſandane und Atoſſa merkten ſehr bald, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0055" n="53"/> Mutter, wenn er die Aegypterin dort zu finden vermuthete,<lb/> und beſchenkte dieſelbe alle Tage mit köſtlichen Schmuck-<lb/> ſachen und Kleidern. Die größte Gunſt erzeigte er ihr<lb/> dadurch, daß er ſie niemals in ihrem Landhauſe bei den<lb/> hängenden Gärten beſuchte. Durch dieſe Handlungsweiſe<lb/> bewies er, daß er geſonnen ſei, Nitetis unter die geringe<lb/> Zahl ſeiner angetrauten, rechtmäßigen Gemahlinnen auf-<lb/> zunehmen, eine Gunſt, deren ſich manche Fürſtentochter,<lb/> welche als Kebsweib in ſeinem Harem lebte, nicht rühmen<lb/> konnte.</p><lb/> <p>Das ſchöne, ernſte Mädchen übte auf den unbändigen,<lb/> gewaltigen Mann einen ſeltſamen Zauber. Jhre bloße<lb/> Gegenwart ſchien zu genügen, ſeinen ſtarren Sinn zu<lb/> ſchmelzen. Stundenlang ſah er dem Reifenſpiele zu und<lb/> verwendete keinen Blick von den zierlichen Bewegungen der<lb/> Aegypterin. Einmal, als ein Ball in’s Waſſer geflogen<lb/> war, ſprang er demſelben in ſeinen ſchweren, koſtbaren<lb/> Gewändern nach und rettete denſelben. Nitetis ſchrie laut<lb/> auf, als der König ſich zu dieſer unerwarteten ritter-<lb/> lichen That anſchickte; Kambyſes aber überreichte ihr<lb/> lächelnd das triefende Spielzeug und ſagte: „Nimm Dich<lb/> in Acht, ſonſt muß ich Dich wieder erſchrecken!“ Jn dem-<lb/> ſelben Augenblicke nahm er eine goldne mit Edelſteinen<lb/> beſetzte Kette von ſeinem Halſe und ſchenkte ſie dem errö-<lb/> thenden Mädchen, welches ihm mit einem Blicke dankte,<lb/> der vollkommen ausſprach, was ihr Herz für den künfti-<lb/> gen Gatten empfand.</p><lb/> <p>Kröſus, Kaſſandane und Atoſſa merkten ſehr bald,<lb/> daß Nitetis den König von ganzem Herzen liebe. Aus<lb/> ihrer Scheu vor dem übermächtigen, ſtolzen Manne war<lb/> in der That eine glühende Leidenſchaft erwachſen. Sie<lb/> glaubte, ſeines Anblicks beraubt, ſterben zu müſſen. Sein<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [53/0055]
Mutter, wenn er die Aegypterin dort zu finden vermuthete,
und beſchenkte dieſelbe alle Tage mit köſtlichen Schmuck-
ſachen und Kleidern. Die größte Gunſt erzeigte er ihr
dadurch, daß er ſie niemals in ihrem Landhauſe bei den
hängenden Gärten beſuchte. Durch dieſe Handlungsweiſe
bewies er, daß er geſonnen ſei, Nitetis unter die geringe
Zahl ſeiner angetrauten, rechtmäßigen Gemahlinnen auf-
zunehmen, eine Gunſt, deren ſich manche Fürſtentochter,
welche als Kebsweib in ſeinem Harem lebte, nicht rühmen
konnte.
Das ſchöne, ernſte Mädchen übte auf den unbändigen,
gewaltigen Mann einen ſeltſamen Zauber. Jhre bloße
Gegenwart ſchien zu genügen, ſeinen ſtarren Sinn zu
ſchmelzen. Stundenlang ſah er dem Reifenſpiele zu und
verwendete keinen Blick von den zierlichen Bewegungen der
Aegypterin. Einmal, als ein Ball in’s Waſſer geflogen
war, ſprang er demſelben in ſeinen ſchweren, koſtbaren
Gewändern nach und rettete denſelben. Nitetis ſchrie laut
auf, als der König ſich zu dieſer unerwarteten ritter-
lichen That anſchickte; Kambyſes aber überreichte ihr
lächelnd das triefende Spielzeug und ſagte: „Nimm Dich
in Acht, ſonſt muß ich Dich wieder erſchrecken!“ Jn dem-
ſelben Augenblicke nahm er eine goldne mit Edelſteinen
beſetzte Kette von ſeinem Halſe und ſchenkte ſie dem errö-
thenden Mädchen, welches ihm mit einem Blicke dankte,
der vollkommen ausſprach, was ihr Herz für den künfti-
gen Gatten empfand.
Kröſus, Kaſſandane und Atoſſa merkten ſehr bald,
daß Nitetis den König von ganzem Herzen liebe. Aus
ihrer Scheu vor dem übermächtigen, ſtolzen Manne war
in der That eine glühende Leidenſchaft erwachſen. Sie
glaubte, ſeines Anblicks beraubt, ſterben zu müſſen. Sein
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