Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Vater sagt, die Götter das so vollkommene Glück eines
Menschen beneiden und ihm einen jähen Untergang berei-
ten werden.

"Solches befürchtend rieth Amasis seinem alten Freunde
Polykrates, er möge, um die Mißgunst der Götter zu
versöhnen, sein Liebstes, dessen Verlust ihn am meisten
schmerzen möchte, in solcher Art von sich entfernen, daß
er es nie wieder zurück erhalten könne.

"Polykrates hörte auf diesen Rath Deines Vaters
und warf den kostbarsten Siegelring, welchen er besaß,
das Werk des Theodoros, einen von zwei Delphinen ge-
haltenen Sardonyx von ungeheurer Größe, in den eine
Lyra, das Zeichen des Gewalthabers, wunderbar kunstreich
gestochen war, von der Höhe des runden Thurmes seiner
Burg in die See 67).

"Sechs Tage später fanden seine Köche in dem Leibe
eines Fisches jenen Siegelring wieder. Polykrates über-
sandte uns sogleich die Botschaft von diesem wunderbaren
Ereignisse; Dein Vater aber schüttelte, statt sich zu freuen,
gramvoll sein greises Haupt und sagte, er sehe wohl, daß
man Niemand seinem Geschick entreißen könne. Am näm-
lichen Tage kündete er dem Polykrates die alte Freund-
schaft auf und ließ ihm sagen, er wolle sich bemühen sei-
ner zu vergessen, damit er vor dem Schmerze bewahrt
bleibe, einen Menschen, den er liebe, in Unglück gerathen
zu sehen.

"Polykrates empfing lachend diese Botschaft und sandte
uns die Briefe, welche seine Seeräuber unsrer Triere ab-
genommen hatten, mit einem spöttischen Gruße zurück.
Von jetzt an werden alle Schreiben an Dich über Syrien
befördert werden.

"Fragst Du mich, warum ich Dir diese lange Ge-

Vater ſagt, die Götter das ſo vollkommene Glück eines
Menſchen beneiden und ihm einen jähen Untergang berei-
ten werden.

„Solches befürchtend rieth Amaſis ſeinem alten Freunde
Polykrates, er möge, um die Mißgunſt der Götter zu
verſöhnen, ſein Liebſtes, deſſen Verluſt ihn am meiſten
ſchmerzen möchte, in ſolcher Art von ſich entfernen, daß
er es nie wieder zurück erhalten könne.

„Polykrates hörte auf dieſen Rath Deines Vaters
und warf den koſtbarſten Siegelring, welchen er beſaß,
das Werk des Theodoros, einen von zwei Delphinen ge-
haltenen Sardonyx von ungeheurer Größe, in den eine
Lyra, das Zeichen des Gewalthabers, wunderbar kunſtreich
geſtochen war, von der Höhe des runden Thurmes ſeiner
Burg in die See 67).

„Sechs Tage ſpäter fanden ſeine Köche in dem Leibe
eines Fiſches jenen Siegelring wieder. Polykrates über-
ſandte uns ſogleich die Botſchaft von dieſem wunderbaren
Ereigniſſe; Dein Vater aber ſchüttelte, ſtatt ſich zu freuen,
gramvoll ſein greiſes Haupt und ſagte, er ſehe wohl, daß
man Niemand ſeinem Geſchick entreißen könne. Am näm-
lichen Tage kündete er dem Polykrates die alte Freund-
ſchaft auf und ließ ihm ſagen, er wolle ſich bemühen ſei-
ner zu vergeſſen, damit er vor dem Schmerze bewahrt
bleibe, einen Menſchen, den er liebe, in Unglück gerathen
zu ſehen.

„Polykrates empfing lachend dieſe Botſchaft und ſandte
uns die Briefe, welche ſeine Seeräuber unſrer Triere ab-
genommen hatten, mit einem ſpöttiſchen Gruße zurück.
Von jetzt an werden alle Schreiben an Dich über Syrien
befördert werden.

„Fragſt Du mich, warum ich Dir dieſe lange Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="87"/>
Vater &#x017F;agt, die Götter das &#x017F;o vollkommene Glück eines<lb/>
Men&#x017F;chen beneiden und ihm einen jähen Untergang berei-<lb/>
ten werden.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Solches befürchtend rieth Ama&#x017F;is &#x017F;einem alten Freunde<lb/>
Polykrates, er möge, um die Mißgun&#x017F;t der Götter zu<lb/>
ver&#x017F;öhnen, &#x017F;ein Lieb&#x017F;tes, de&#x017F;&#x017F;en Verlu&#x017F;t ihn am mei&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;chmerzen möchte, in &#x017F;olcher Art von &#x017F;ich entfernen, daß<lb/>
er es nie wieder zurück erhalten könne.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Polykrates hörte auf die&#x017F;en Rath Deines Vaters<lb/>
und warf den ko&#x017F;tbar&#x017F;ten Siegelring, welchen er be&#x017F;aß,<lb/>
das Werk des Theodoros, einen von zwei Delphinen ge-<lb/>
haltenen Sardonyx von ungeheurer Größe, in den eine<lb/>
Lyra, das Zeichen des Gewalthabers, wunderbar kun&#x017F;treich<lb/>
ge&#x017F;tochen war, von der Höhe des runden Thurmes &#x017F;einer<lb/>
Burg in die See <hi rendition="#sup">67</hi>).</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sechs Tage &#x017F;päter fanden &#x017F;eine Köche in dem Leibe<lb/>
eines Fi&#x017F;ches jenen Siegelring wieder. Polykrates über-<lb/>
&#x017F;andte uns &#x017F;ogleich die Bot&#x017F;chaft von die&#x017F;em wunderbaren<lb/>
Ereigni&#x017F;&#x017F;e; Dein Vater aber &#x017F;chüttelte, &#x017F;tatt &#x017F;ich zu freuen,<lb/>
gramvoll &#x017F;ein grei&#x017F;es Haupt und &#x017F;agte, er &#x017F;ehe wohl, daß<lb/>
man Niemand &#x017F;einem Ge&#x017F;chick entreißen könne. Am näm-<lb/>
lichen Tage kündete er dem Polykrates die alte Freund-<lb/>
&#x017F;chaft auf und ließ ihm &#x017F;agen, er wolle &#x017F;ich bemühen &#x017F;ei-<lb/>
ner zu verge&#x017F;&#x017F;en, damit er vor dem Schmerze bewahrt<lb/>
bleibe, einen Men&#x017F;chen, den er liebe, in Unglück gerathen<lb/>
zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Polykrates empfing lachend die&#x017F;e Bot&#x017F;chaft und &#x017F;andte<lb/>
uns die Briefe, welche &#x017F;eine Seeräuber un&#x017F;rer Triere ab-<lb/>
genommen hatten, mit einem &#x017F;pötti&#x017F;chen Gruße zurück.<lb/>
Von jetzt an werden alle Schreiben an Dich über Syrien<lb/>
befördert werden.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Frag&#x017F;t Du mich, warum ich Dir die&#x017F;e lange Ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0089] Vater ſagt, die Götter das ſo vollkommene Glück eines Menſchen beneiden und ihm einen jähen Untergang berei- ten werden. „Solches befürchtend rieth Amaſis ſeinem alten Freunde Polykrates, er möge, um die Mißgunſt der Götter zu verſöhnen, ſein Liebſtes, deſſen Verluſt ihn am meiſten ſchmerzen möchte, in ſolcher Art von ſich entfernen, daß er es nie wieder zurück erhalten könne. „Polykrates hörte auf dieſen Rath Deines Vaters und warf den koſtbarſten Siegelring, welchen er beſaß, das Werk des Theodoros, einen von zwei Delphinen ge- haltenen Sardonyx von ungeheurer Größe, in den eine Lyra, das Zeichen des Gewalthabers, wunderbar kunſtreich geſtochen war, von der Höhe des runden Thurmes ſeiner Burg in die See 67). „Sechs Tage ſpäter fanden ſeine Köche in dem Leibe eines Fiſches jenen Siegelring wieder. Polykrates über- ſandte uns ſogleich die Botſchaft von dieſem wunderbaren Ereigniſſe; Dein Vater aber ſchüttelte, ſtatt ſich zu freuen, gramvoll ſein greiſes Haupt und ſagte, er ſehe wohl, daß man Niemand ſeinem Geſchick entreißen könne. Am näm- lichen Tage kündete er dem Polykrates die alte Freund- ſchaft auf und ließ ihm ſagen, er wolle ſich bemühen ſei- ner zu vergeſſen, damit er vor dem Schmerze bewahrt bleibe, einen Menſchen, den er liebe, in Unglück gerathen zu ſehen. „Polykrates empfing lachend dieſe Botſchaft und ſandte uns die Briefe, welche ſeine Seeräuber unſrer Triere ab- genommen hatten, mit einem ſpöttiſchen Gruße zurück. Von jetzt an werden alle Schreiben an Dich über Syrien befördert werden. „Fragſt Du mich, warum ich Dir dieſe lange Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/89
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/89>, abgerufen am 21.11.2024.