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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864.

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"Als sie einst träumend vor der Spindel saß, sang er
ihr das Liebesliedchen der Sappho in's Ohr:

"Ach süßes Mütterlein, es treibt
Mich fort vom Webestuhle;
Die böse Liebe macht mir Pein,
Mich quält mein holder Buhle 72)."

"Sie erbleichte bei diesen Worten und fragte: ,Hast
Du selbst dieß Liedchen erdacht, Jbykus?'

",Nein,' antwortete jener, ,die Lesbierin Sappho
sang es vor fünfzig Jahren.'

",Vor fünfzig Jahren,' wiederholte Tachot gedan-
kenvoll.

",Die Liebe bleibt sich immer gleich,' unterbrach sie
der Dichter; ,wie Sappho vor fünfzig Jahren liebte, so
hat man vor Aeonen geliebt, so wird man nach Jahrtau-
senden lieben.'

"Die Kranke lächelte zustimmend, und wiederholte von
nun an, leise summend, gar oft jenes Liedlein, wenn sie
müßig vor der Spindel saß.

"Trotz alledem vermieden wir mit Fleiß jede Frage,
welche sie an den Geliebten erinnern konnte. Als sie aber
in Fieberschauern darnieder lag, wurden ihre glühenden
Lippen nicht müde, Bartjas Namen auszurufen. Nach-
dem sie wieder ihrer Gedanken mächtig geworden war, er-
zählten wir ihr von jenen Phantasieen.

"Da schüttete sie mir ihre ganze Seele aus und sagte
mit feierlicher Stimme, gleich einer Prophetin gen Him-
mel starrend: ,Jch weiß, daß ich nicht sterben werde, eh'
ich ihn wiedergesehen habe.'

"Neulich hatten wir sie in den Tempel tragen lassen,
weil sie sich danach sehnte in den heiligen Hallen zu be-
ten. Als die Andacht beendet war und wir an den im

„Als ſie einſt träumend vor der Spindel ſaß, ſang er
ihr das Liebesliedchen der Sappho in’s Ohr:

„Ach ſüßes Mütterlein, es treibt
Mich fort vom Webeſtuhle;
Die böſe Liebe macht mir Pein,
Mich quält mein holder Buhle 72).“

„Sie erbleichte bei dieſen Worten und fragte: ‚Haſt
Du ſelbſt dieß Liedchen erdacht, Jbykus?‘

„‚Nein,‘ antwortete jener, ‚die Lesbierin Sappho
ſang es vor fünfzig Jahren.‘

„‚Vor fünfzig Jahren,‘ wiederholte Tachot gedan-
kenvoll.

„‚Die Liebe bleibt ſich immer gleich,‘ unterbrach ſie
der Dichter; ‚wie Sappho vor fünfzig Jahren liebte, ſo
hat man vor Aeonen geliebt, ſo wird man nach Jahrtau-
ſenden lieben.‘

„Die Kranke lächelte zuſtimmend, und wiederholte von
nun an, leiſe ſummend, gar oft jenes Liedlein, wenn ſie
müßig vor der Spindel ſaß.

„Trotz alledem vermieden wir mit Fleiß jede Frage,
welche ſie an den Geliebten erinnern konnte. Als ſie aber
in Fieberſchauern darnieder lag, wurden ihre glühenden
Lippen nicht müde, Bartjas Namen auszurufen. Nach-
dem ſie wieder ihrer Gedanken mächtig geworden war, er-
zählten wir ihr von jenen Phantaſieen.

„Da ſchüttete ſie mir ihre ganze Seele aus und ſagte
mit feierlicher Stimme, gleich einer Prophetin gen Him-
mel ſtarrend: ‚Jch weiß, daß ich nicht ſterben werde, eh’
ich ihn wiedergeſehen habe.‘

„Neulich hatten wir ſie in den Tempel tragen laſſen,
weil ſie ſich danach ſehnte in den heiligen Hallen zu be-
ten. Als die Andacht beendet war und wir an den im

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[94/0096] „Als ſie einſt träumend vor der Spindel ſaß, ſang er ihr das Liebesliedchen der Sappho in’s Ohr: „Ach ſüßes Mütterlein, es treibt Mich fort vom Webeſtuhle; Die böſe Liebe macht mir Pein, Mich quält mein holder Buhle 72).“ „Sie erbleichte bei dieſen Worten und fragte: ‚Haſt Du ſelbſt dieß Liedchen erdacht, Jbykus?‘ „‚Nein,‘ antwortete jener, ‚die Lesbierin Sappho ſang es vor fünfzig Jahren.‘ „‚Vor fünfzig Jahren,‘ wiederholte Tachot gedan- kenvoll. „‚Die Liebe bleibt ſich immer gleich,‘ unterbrach ſie der Dichter; ‚wie Sappho vor fünfzig Jahren liebte, ſo hat man vor Aeonen geliebt, ſo wird man nach Jahrtau- ſenden lieben.‘ „Die Kranke lächelte zuſtimmend, und wiederholte von nun an, leiſe ſummend, gar oft jenes Liedlein, wenn ſie müßig vor der Spindel ſaß. „Trotz alledem vermieden wir mit Fleiß jede Frage, welche ſie an den Geliebten erinnern konnte. Als ſie aber in Fieberſchauern darnieder lag, wurden ihre glühenden Lippen nicht müde, Bartjas Namen auszurufen. Nach- dem ſie wieder ihrer Gedanken mächtig geworden war, er- zählten wir ihr von jenen Phantaſieen. „Da ſchüttete ſie mir ihre ganze Seele aus und ſagte mit feierlicher Stimme, gleich einer Prophetin gen Him- mel ſtarrend: ‚Jch weiß, daß ich nicht ſterben werde, eh’ ich ihn wiedergeſehen habe.‘ „Neulich hatten wir ſie in den Tempel tragen laſſen, weil ſie ſich danach ſehnte in den heiligen Hallen zu be- ten. Als die Andacht beendet war und wir an den im

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Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 2. Stuttgart, 1864, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter02_1864/96>, abgerufen am 09.11.2024.