springend, von siebzig ihm ähnlichen Männern begleitet, dem Schiffe des Osiris näherte.
"Windesschnell enteilten die kleinen Nachen, und die Lotosblume entfiel der zitternden Hand des steuerführen- den Knaben. Das scheußliche Ungethüm stürzte sich, schnell wie der Gedanke, auf Osiris, erschlug denselben mit Hülfe seiner Genossen, warf den Leichnam in einen Mumien- kasten und diesen wiederum in den See, welcher den schwimmenden Sarg, wie durch Zauber, entführte. Jn- dessen hatte sich Jsis in einem der kleinen Boote an's Land gerettet und lief mit fliegendem Haar, laute Weh- klagen ausstoßend und von den Jungfrauen, welche, gleich ihr, den Nachen entstiegen waren, begleitet, am Rande des Wassers umher. Sie alle suchten unter seltsam rühren- den Tänzen und Gesängen, bei denen die Mädchen mit schwarzen Byssustüchern wunderbare Bogen schlangen, den Leichnam des Verstorbenen. -- Auch die Jünglinge blieben nicht müßig und bereiteten unter Tänzen und Klapper- schlagen einen kostbaren Sarg für die verschwundene Leiche des Gottes. Als derselbe fertig war, vereinten sie sich mit dem weiblichen Gefolge der wehklagenden Jsis und schweif- ten mit derselben, suchend und Schmerzenslieder singend, am Rande des Wassers umher.
"Da plötzlich erhob sich eine leise Stimme von un- sichtbarem Munde, welche, immer lauter und lauter wer- dend, sang:
"Eile hin zum fernen Norden, An des ew'gen Stromes Borden, Jn der Tamariske Schatten Findest Du den lieben Gatten. -- Wo des Niles süße Wellen Sich dem bittern Meer gesellen,
ſpringend, von ſiebzig ihm ähnlichen Männern begleitet, dem Schiffe des Oſiris näherte.
„Windesſchnell enteilten die kleinen Nachen, und die Lotosblume entfiel der zitternden Hand des ſteuerführen- den Knaben. Das ſcheußliche Ungethüm ſtürzte ſich, ſchnell wie der Gedanke, auf Oſiris, erſchlug denſelben mit Hülfe ſeiner Genoſſen, warf den Leichnam in einen Mumien- kaſten und dieſen wiederum in den See, welcher den ſchwimmenden Sarg, wie durch Zauber, entführte. Jn- deſſen hatte ſich Jſis in einem der kleinen Boote an’s Land gerettet und lief mit fliegendem Haar, laute Weh- klagen ausſtoßend und von den Jungfrauen, welche, gleich ihr, den Nachen entſtiegen waren, begleitet, am Rande des Waſſers umher. Sie alle ſuchten unter ſeltſam rühren- den Tänzen und Geſängen, bei denen die Mädchen mit ſchwarzen Byſſustüchern wunderbare Bogen ſchlangen, den Leichnam des Verſtorbenen. — Auch die Jünglinge blieben nicht müßig und bereiteten unter Tänzen und Klapper- ſchlagen einen koſtbaren Sarg für die verſchwundene Leiche des Gottes. Als derſelbe fertig war, vereinten ſie ſich mit dem weiblichen Gefolge der wehklagenden Jſis und ſchweif- ten mit derſelben, ſuchend und Schmerzenslieder ſingend, am Rande des Waſſers umher.
„Da plötzlich erhob ſich eine leiſe Stimme von un- ſichtbarem Munde, welche, immer lauter und lauter wer- dend, ſang:
„Eile hin zum fernen Norden, An des ew’gen Stromes Borden, Jn der Tamariske Schatten Findeſt Du den lieben Gatten. — Wo des Niles ſüße Wellen Sich dem bittern Meer geſellen,
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ſpringend, von ſiebzig ihm ähnlichen Männern begleitet,
dem Schiffe des Oſiris näherte.
„Windesſchnell enteilten die kleinen Nachen, und die
Lotosblume entfiel der zitternden Hand des ſteuerführen-
den Knaben. Das ſcheußliche Ungethüm ſtürzte ſich, ſchnell
wie der Gedanke, auf Oſiris, erſchlug denſelben mit Hülfe
ſeiner Genoſſen, warf den Leichnam in einen Mumien-
kaſten und dieſen wiederum in den See, welcher den
ſchwimmenden Sarg, wie durch Zauber, entführte. Jn-
deſſen hatte ſich Jſis in einem der kleinen Boote an’s
Land gerettet und lief mit fliegendem Haar, laute Weh-
klagen ausſtoßend und von den Jungfrauen, welche, gleich
ihr, den Nachen entſtiegen waren, begleitet, am Rande
des Waſſers umher. Sie alle ſuchten unter ſeltſam rühren-
den Tänzen und Geſängen, bei denen die Mädchen mit
ſchwarzen Byſſustüchern wunderbare Bogen ſchlangen, den
Leichnam des Verſtorbenen. — Auch die Jünglinge blieben
nicht müßig und bereiteten unter Tänzen und Klapper-
ſchlagen einen koſtbaren Sarg für die verſchwundene Leiche
des Gottes. Als derſelbe fertig war, vereinten ſie ſich mit
dem weiblichen Gefolge der wehklagenden Jſis und ſchweif-
ten mit derſelben, ſuchend und Schmerzenslieder ſingend,
am Rande des Waſſers umher.
„Da plötzlich erhob ſich eine leiſe Stimme von un-
ſichtbarem Munde, welche, immer lauter und lauter wer-
dend, ſang:
„Eile hin zum fernen Norden,
An des ew’gen Stromes Borden,
Jn der Tamariske Schatten
Findeſt Du den lieben Gatten. —
Wo des Niles ſüße Wellen
Sich dem bittern Meer geſellen,
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/195>, abgerufen am 17.06.2024.
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