lich werden. Pythagoras verbietet, auf der gemeinen Straße zu wandeln; doch sind die Wege, welche er an deren Stelle angibt, viel zu schmal und beschwerlich für das Volk. Ein Einziger', setzte Onuphis hinzu, ,hat es bisher verstanden, den tiefsten Kern unsrer Geheimlehren einer ganzen Nation zu eigen zu machen, und dieser Eine wurde dafür von den Aegyptern verflucht und der An- führer einer Schaar von Aussätzigen 165) genannt. Osarsiph oder Moses war der Name dieses seltenen Mannes, wel- cher das Hirtenvolk, von dem er abstammte, zwar belehren, aber nicht beglücken und befriedigen konnte.'
"Doch es dunkelt, und ich habe Sappho versprochen, nach Sonnenuntergang zu ihr zu kommen und sie bis zu ihrer Abreise nicht mehr zu verlassen. O diese Trennung würde mich tödten, wenn mir nicht das Bewußtsein treuer Pflichterfüllung neue Lebenskraft einflößte."
Drei Tage später nahm Sappho zum letzten Male von ihrer Großmutter Abschied und folgte den Königinnen nach Persien, wo sie, trotz der folgenden Ereignisse immer noch an Bartja's mögliche Wiederkehr glaubend, voll Liebe, Hoffnung und treuer Erinnerung ganz der Erziehung ihrer Tochter und der Pflege der greisen Kassandane lebte.
Die kleine Parmys erblühte in seltener Schönheit und lernte neben den Göttern nichts inniger lieben, als das Andenken ihres verschwundenen Vaters, den sie durch tausendfache Erzählungen ihrer Mutter, wie einen Leben- den kannte.
Atossa bewahrte ihr, trotz des hohen Glückes, welches ihr bald erblühen sollte, die alte Freundschaft und pflegte sie nicht anders, als "Schwester" zu nennen.
lich werden. Pythagoras verbietet, auf der gemeinen Straße zu wandeln; doch ſind die Wege, welche er an deren Stelle angibt, viel zu ſchmal und beſchwerlich für das Volk. Ein Einziger‘, ſetzte Onuphis hinzu, ‚hat es bisher verſtanden, den tiefſten Kern unſrer Geheimlehren einer ganzen Nation zu eigen zu machen, und dieſer Eine wurde dafür von den Aegyptern verflucht und der An- führer einer Schaar von Ausſätzigen 165) genannt. Oſarſiph oder Moſes war der Name dieſes ſeltenen Mannes, wel- cher das Hirtenvolk, von dem er abſtammte, zwar belehren, aber nicht beglücken und befriedigen konnte.‘
„Doch es dunkelt, und ich habe Sappho verſprochen, nach Sonnenuntergang zu ihr zu kommen und ſie bis zu ihrer Abreiſe nicht mehr zu verlaſſen. O dieſe Trennung würde mich tödten, wenn mir nicht das Bewußtſein treuer Pflichterfüllung neue Lebenskraft einflößte.“
Drei Tage ſpäter nahm Sappho zum letzten Male von ihrer Großmutter Abſchied und folgte den Königinnen nach Perſien, wo ſie, trotz der folgenden Ereigniſſe immer noch an Bartja’s mögliche Wiederkehr glaubend, voll Liebe, Hoffnung und treuer Erinnerung ganz der Erziehung ihrer Tochter und der Pflege der greiſen Kaſſandane lebte.
Die kleine Parmys erblühte in ſeltener Schönheit und lernte neben den Göttern nichts inniger lieben, als das Andenken ihres verſchwundenen Vaters, den ſie durch tauſendfache Erzählungen ihrer Mutter, wie einen Leben- den kannte.
Atoſſa bewahrte ihr, trotz des hohen Glückes, welches ihr bald erblühen ſollte, die alte Freundſchaft und pflegte ſie nicht anders, als „Schweſter“ zu nennen.
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lich werden. Pythagoras verbietet, auf der gemeinen
Straße zu wandeln; doch ſind die Wege, welche er an
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das Volk. Ein Einziger‘, ſetzte Onuphis hinzu, ‚hat es
bisher verſtanden, den tiefſten Kern unſrer Geheimlehren
einer ganzen Nation zu eigen zu machen, und dieſer Eine
wurde dafür von den Aegyptern verflucht und der An-
führer einer Schaar von Ausſätzigen 165) genannt. Oſarſiph
oder Moſes war der Name dieſes ſeltenen Mannes, wel-
cher das Hirtenvolk, von dem er abſtammte, zwar belehren,
aber nicht beglücken und befriedigen konnte.‘
„Doch es dunkelt, und ich habe Sappho verſprochen,
nach Sonnenuntergang zu ihr zu kommen und ſie bis zu
ihrer Abreiſe nicht mehr zu verlaſſen. O dieſe Trennung
würde mich tödten, wenn mir nicht das Bewußtſein treuer
Pflichterfüllung neue Lebenskraft einflößte.“
Drei Tage ſpäter nahm Sappho zum letzten Male
von ihrer Großmutter Abſchied und folgte den Königinnen
nach Perſien, wo ſie, trotz der folgenden Ereigniſſe immer
noch an Bartja’s mögliche Wiederkehr glaubend, voll
Liebe, Hoffnung und treuer Erinnerung ganz der Erziehung
ihrer Tochter und der Pflege der greiſen Kaſſandane lebte.
Die kleine Parmys erblühte in ſeltener Schönheit und
lernte neben den Göttern nichts inniger lieben, als das
Andenken ihres verſchwundenen Vaters, den ſie durch
tauſendfache Erzählungen ihrer Mutter, wie einen Leben-
den kannte.
Atoſſa bewahrte ihr, trotz des hohen Glückes, welches
ihr bald erblühen ſollte, die alte Freundſchaft und pflegte
ſie nicht anders, als „Schweſter“ zu nennen.
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Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/258>, abgerufen am 16.07.2024.
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