Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

weile, und die zweite sitzt im Herzen. Für jene ist der
Athener gut, für diese aber weiß ich kein Mittel, denn
die Erfahrung lehrt, daß solche Wunden entweder von
selbst vernarben, oder aber nach innen verbluten.'

",Jch wüßte dennoch eine Arznei für den König!'
rief Otanes, der diese Worte vernommen hatte. ,Wir
sollten ihn überreden, die Weiber, oder wenigstens meine
Tochter Phädyne, aus Susa zurückkommen zu lassen. Liebe
zerstreut die Schwermuth und beschleunigt den Lauf des
langsam fließenden Blutes!' -- Wir gaben dem Redner
Recht und forderten ihn auf, den Herrscher an die
verbannten Frauen zu erinnern. Otanes wagte den
Vorschlag, als wir gerade beim Schmause saßen, --
wurde aber so hart vom Könige angelassen, daß er
uns Allen leid that. Kurze Zeit darauf ließ Kambyses
eines Morgens alle Mobed's und Chaldäer kommen,
um denselben die Deutung eines seltsamen Traumgesichts
zu befehlen.

"Jhm hatte geträumt, daß er sich inmitten einer dürren
Ebne befinde, die, dem Boden einer Tenne ähnlich, keinen
Halm erzeugte. Mißgestimmt über den öden, traurigen
Anblick des Platzes, wollte er soeben andere, fruchtbarere
Orte aufsuchen, als Atossa erschien und, ohne ihn zu be-
merken, einer Quelle entgegenlief, die plötzlich, wie durch
Zauberei, mit fröhlichem Gemurmel aus dem dürren Bo-
den emporquoll. Staunend sah er diesem Schauspiele zu
und bemerkte, wie sich überall, wo der Fuß seiner Schwester
das versengte Land berührt hatte, schlanke Terebinthen 49)
erhoben, die sich, da sie größer wurden, in Cypressen-
bäume verwandelten, deren Gipfel bis in den Himmel
ragten. Als er Atossa anreden wollte, war er aufgewacht.

"Die Mobed's und Chaldäer beriethen sich und deute-

weile, und die zweite ſitzt im Herzen. Für jene iſt der
Athener gut, für dieſe aber weiß ich kein Mittel, denn
die Erfahrung lehrt, daß ſolche Wunden entweder von
ſelbſt vernarben, oder aber nach innen verbluten.‘

„‚Jch wüßte dennoch eine Arznei für den König!‘
rief Otanes, der dieſe Worte vernommen hatte. ‚Wir
ſollten ihn überreden, die Weiber, oder wenigſtens meine
Tochter Phädyne, aus Suſa zurückkommen zu laſſen. Liebe
zerſtreut die Schwermuth und beſchleunigt den Lauf des
langſam fließenden Blutes!‘ — Wir gaben dem Redner
Recht und forderten ihn auf, den Herrſcher an die
verbannten Frauen zu erinnern. Otanes wagte den
Vorſchlag, als wir gerade beim Schmauſe ſaßen, —
wurde aber ſo hart vom Könige angelaſſen, daß er
uns Allen leid that. Kurze Zeit darauf ließ Kambyſes
eines Morgens alle Mobed’s und Chaldäer kommen,
um denſelben die Deutung eines ſeltſamen Traumgeſichts
zu befehlen.

„Jhm hatte geträumt, daß er ſich inmitten einer dürren
Ebne befinde, die, dem Boden einer Tenne ähnlich, keinen
Halm erzeugte. Mißgeſtimmt über den öden, traurigen
Anblick des Platzes, wollte er ſoeben andere, fruchtbarere
Orte aufſuchen, als Atoſſa erſchien und, ohne ihn zu be-
merken, einer Quelle entgegenlief, die plötzlich, wie durch
Zauberei, mit fröhlichem Gemurmel aus dem dürren Bo-
den emporquoll. Staunend ſah er dieſem Schauſpiele zu
und bemerkte, wie ſich überall, wo der Fuß ſeiner Schweſter
das verſengte Land berührt hatte, ſchlanke Terebinthen 49)
erhoben, die ſich, da ſie größer wurden, in Cypreſſen-
bäume verwandelten, deren Gipfel bis in den Himmel
ragten. Als er Atoſſa anreden wollte, war er aufgewacht.

„Die Mobed’s und Chaldäer beriethen ſich und deute-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0088" n="78"/>
weile, und die zweite &#x017F;itzt im Herzen. Für jene i&#x017F;t der<lb/>
Athener gut, für die&#x017F;e aber weiß ich kein Mittel, denn<lb/>
die Erfahrung lehrt, daß &#x017F;olche Wunden entweder von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t vernarben, oder aber nach innen verbluten.&#x2018;</p><lb/>
        <p>&#x201E;&#x201A;Jch wüßte dennoch eine Arznei für den König!&#x2018;<lb/>
rief Otanes, der die&#x017F;e Worte vernommen hatte. &#x201A;Wir<lb/>
&#x017F;ollten ihn überreden, die Weiber, oder wenig&#x017F;tens meine<lb/>
Tochter Phädyne, aus Su&#x017F;a zurückkommen zu la&#x017F;&#x017F;en. Liebe<lb/>
zer&#x017F;treut die Schwermuth und be&#x017F;chleunigt den Lauf des<lb/>
lang&#x017F;am fließenden Blutes!&#x2018; &#x2014; Wir gaben dem Redner<lb/>
Recht und forderten ihn auf, den Herr&#x017F;cher an die<lb/>
verbannten Frauen zu erinnern. Otanes wagte den<lb/>
Vor&#x017F;chlag, als wir gerade beim Schmau&#x017F;e &#x017F;aßen, &#x2014;<lb/>
wurde aber &#x017F;o hart vom Könige angela&#x017F;&#x017F;en, daß er<lb/>
uns Allen leid that. Kurze Zeit darauf ließ Kamby&#x017F;es<lb/>
eines Morgens alle Mobed&#x2019;s und Chaldäer kommen,<lb/>
um den&#x017F;elben die Deutung eines &#x017F;elt&#x017F;amen Traumge&#x017F;ichts<lb/>
zu befehlen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jhm hatte geträumt, daß er &#x017F;ich inmitten einer dürren<lb/>
Ebne befinde, die, dem Boden einer Tenne ähnlich, keinen<lb/>
Halm erzeugte. Mißge&#x017F;timmt über den öden, traurigen<lb/>
Anblick des Platzes, wollte er &#x017F;oeben andere, fruchtbarere<lb/>
Orte auf&#x017F;uchen, als Ato&#x017F;&#x017F;a er&#x017F;chien und, ohne ihn zu be-<lb/>
merken, einer Quelle entgegenlief, die plötzlich, wie durch<lb/>
Zauberei, mit fröhlichem Gemurmel aus dem dürren Bo-<lb/>
den emporquoll. Staunend &#x017F;ah er die&#x017F;em Schau&#x017F;piele zu<lb/>
und bemerkte, wie &#x017F;ich überall, wo der Fuß &#x017F;einer Schwe&#x017F;ter<lb/>
das ver&#x017F;engte Land berührt hatte, &#x017F;chlanke Terebinthen <hi rendition="#sup">49</hi>)<lb/>
erhoben, die &#x017F;ich, da &#x017F;ie größer wurden, in Cypre&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
bäume verwandelten, deren Gipfel bis in den Himmel<lb/>
ragten. Als er Ato&#x017F;&#x017F;a anreden wollte, war er aufgewacht.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Mobed&#x2019;s und Chaldäer beriethen &#x017F;ich und deute-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0088] weile, und die zweite ſitzt im Herzen. Für jene iſt der Athener gut, für dieſe aber weiß ich kein Mittel, denn die Erfahrung lehrt, daß ſolche Wunden entweder von ſelbſt vernarben, oder aber nach innen verbluten.‘ „‚Jch wüßte dennoch eine Arznei für den König!‘ rief Otanes, der dieſe Worte vernommen hatte. ‚Wir ſollten ihn überreden, die Weiber, oder wenigſtens meine Tochter Phädyne, aus Suſa zurückkommen zu laſſen. Liebe zerſtreut die Schwermuth und beſchleunigt den Lauf des langſam fließenden Blutes!‘ — Wir gaben dem Redner Recht und forderten ihn auf, den Herrſcher an die verbannten Frauen zu erinnern. Otanes wagte den Vorſchlag, als wir gerade beim Schmauſe ſaßen, — wurde aber ſo hart vom Könige angelaſſen, daß er uns Allen leid that. Kurze Zeit darauf ließ Kambyſes eines Morgens alle Mobed’s und Chaldäer kommen, um denſelben die Deutung eines ſeltſamen Traumgeſichts zu befehlen. „Jhm hatte geträumt, daß er ſich inmitten einer dürren Ebne befinde, die, dem Boden einer Tenne ähnlich, keinen Halm erzeugte. Mißgeſtimmt über den öden, traurigen Anblick des Platzes, wollte er ſoeben andere, fruchtbarere Orte aufſuchen, als Atoſſa erſchien und, ohne ihn zu be- merken, einer Quelle entgegenlief, die plötzlich, wie durch Zauberei, mit fröhlichem Gemurmel aus dem dürren Bo- den emporquoll. Staunend ſah er dieſem Schauſpiele zu und bemerkte, wie ſich überall, wo der Fuß ſeiner Schweſter das verſengte Land berührt hatte, ſchlanke Terebinthen 49) erhoben, die ſich, da ſie größer wurden, in Cypreſſen- bäume verwandelten, deren Gipfel bis in den Himmel ragten. Als er Atoſſa anreden wollte, war er aufgewacht. „Die Mobed’s und Chaldäer beriethen ſich und deute-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/88
Zitationshilfe: Ebers, Georg: Eine Aegyptische Königstochter. Bd. 3. Stuttgart, 1864, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ebers_koenigstochter03_1864/88>, abgerufen am 23.11.2024.