für jene Dichtart keinen Boden finden, und dieß brachte ihn in unsägliche Verwirrung. Und als ob, fügte Goethe lächelnd hinzu, die sentimentale Poesie ohne einen naiven Grund, aus welchem sie gleichsam hervorwächst, nur irgend bestehen könnte!"
"Es war nicht Schillers Sache, fuhr Goethe fort, mit einer gewissen Bewußtlosigkeit und gleichsam instinkt¬ mäßig zu verfahren, vielmehr mußte er über jedes, was er that, reflectiren; woher es auch kam, daß er über seine poetischen Vorsätze nicht unterlassen konnte, sehr viel hin und her zu reden, so daß er alle seine späteren Stücke Scene für Scene mit mir durchgesprochen hat."
"Dagegen war es ganz gegen meine Natur, über das, was ich von poetischen Plänen vorhatte, mit irgend jemanden zu reden, selbst nicht mit Schiller. Ich trug Alles still mit mir herum und niemand erfuhr in der Regel etwas als bis es vollendet war. Als ich Schil¬ lern meinen Hermann und Dorothea fertig vorlegte, war er verwundert, denn ich hatte ihm vorher mit keiner Sylbe gesagt, daß ich dergleichen vorhatte."
"Aber ich bin neugierig, was Sie morgen zum Wallenstein sagen werden! Sie werden große Gestalten sehen und das Stück wird auf Sie einen Eindruck ma¬ chen, wie Sie es sich wahrscheinlich nicht vermuthen."
fuͤr jene Dichtart keinen Boden finden, und dieß brachte ihn in unſaͤgliche Verwirrung. Und als ob, fuͤgte Goethe laͤchelnd hinzu, die ſentimentale Poeſie ohne einen naiven Grund, aus welchem ſie gleichſam hervorwaͤchſt, nur irgend beſtehen koͤnnte!“
„Es war nicht Schillers Sache, fuhr Goethe fort, mit einer gewiſſen Bewußtloſigkeit und gleichſam inſtinkt¬ maͤßig zu verfahren, vielmehr mußte er uͤber jedes, was er that, reflectiren; woher es auch kam, daß er uͤber ſeine poetiſchen Vorſaͤtze nicht unterlaſſen konnte, ſehr viel hin und her zu reden, ſo daß er alle ſeine ſpaͤteren Stuͤcke Scene fuͤr Scene mit mir durchgeſprochen hat.“
„Dagegen war es ganz gegen meine Natur, uͤber das, was ich von poetiſchen Plaͤnen vorhatte, mit irgend jemanden zu reden, ſelbſt nicht mit Schiller. Ich trug Alles ſtill mit mir herum und niemand erfuhr in der Regel etwas als bis es vollendet war. Als ich Schil¬ lern meinen Hermann und Dorothea fertig vorlegte, war er verwundert, denn ich hatte ihm vorher mit keiner Sylbe geſagt, daß ich dergleichen vorhatte.“
„Aber ich bin neugierig, was Sie morgen zum Wallenſtein ſagen werden! Sie werden große Geſtalten ſehen und das Stuͤck wird auf Sie einen Eindruck ma¬ chen, wie Sie es ſich wahrſcheinlich nicht vermuthen.“
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fuͤr jene Dichtart keinen Boden finden, und dieß brachte
ihn in unſaͤgliche Verwirrung. Und als ob, fuͤgte Goethe
laͤchelnd hinzu, die ſentimentale Poeſie ohne einen naiven
Grund, aus welchem ſie gleichſam hervorwaͤchſt, nur
irgend beſtehen koͤnnte!“
„Es war nicht Schillers Sache, fuhr Goethe fort,
mit einer gewiſſen Bewußtloſigkeit und gleichſam inſtinkt¬
maͤßig zu verfahren, vielmehr mußte er uͤber jedes, was
er that, reflectiren; woher es auch kam, daß er uͤber
ſeine poetiſchen Vorſaͤtze nicht unterlaſſen konnte, ſehr
viel hin und her zu reden, ſo daß er alle ſeine ſpaͤteren
Stuͤcke Scene fuͤr Scene mit mir durchgeſprochen hat.“
„Dagegen war es ganz gegen meine Natur, uͤber
das, was ich von poetiſchen Plaͤnen vorhatte, mit irgend
jemanden zu reden, ſelbſt nicht mit Schiller. Ich trug
Alles ſtill mit mir herum und niemand erfuhr in der
Regel etwas als bis es vollendet war. Als ich Schil¬
lern meinen Hermann und Dorothea fertig vorlegte,
war er verwundert, denn ich hatte ihm vorher mit
keiner Sylbe geſagt, daß ich dergleichen vorhatte.“
„Aber ich bin neugierig, was Sie morgen zum
Wallenſtein ſagen werden! Sie werden große Geſtalten
ſehen und das Stuͤck wird auf Sie einen Eindruck ma¬
chen, wie Sie es ſich wahrſcheinlich nicht vermuthen.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/109>, abgerufen am 25.11.2024.
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