"Mein eigentliches Glück war mein poetisches Sinnen und Schaffen. Allein wie sehr war dieses durch meine äußere Stellung gestört, beschränkt und gehindert. Hätte ich mich mehr vom öffentlichen und geschäftlichen Wir¬ ken und Treiben zurückhalten und mehr in der Einsam¬ keit leben können, ich wäre glücklicher gewesen und würde als Dichter weit mehr gemacht haben. So aber sollte sich bald nach meinem Götz und Werther an mir das Wort eines Weisen bewähren, welcher sagte: wenn man der Welt etwas zu Liebe gethan habe, so wisse sie dafür zu sorgen, daß man es nicht zum zweyten Male thue."
"Ein weit verbreiteter Name, eine hohe Stellung im Leben sind gute Dinge. Allein mit all meinem Namen und Stande habe ich es nicht weiter gebracht, als daß ich, um nicht zu verletzen, zu der Meinung Anderer schweige. Dieses würde nun in der That ein sehr schlechter Spaß seyn, wenn ich dabey nicht den Vortheil hätte, daß ich erfahre, wie die Anderen denken, aber sie nicht wie ich."
Sonntag den 15. Februar 1824.
Heute vor Tisch hatte Goethe mich zu einer Spa¬ zierfahrt einladen lassen. Ich fand ihn frühstückend, als
„Mein eigentliches Gluͤck war mein poetiſches Sinnen und Schaffen. Allein wie ſehr war dieſes durch meine aͤußere Stellung geſtoͤrt, beſchraͤnkt und gehindert. Haͤtte ich mich mehr vom oͤffentlichen und geſchaͤftlichen Wir¬ ken und Treiben zuruͤckhalten und mehr in der Einſam¬ keit leben koͤnnen, ich waͤre gluͤcklicher geweſen und wuͤrde als Dichter weit mehr gemacht haben. So aber ſollte ſich bald nach meinem Goͤtz und Werther an mir das Wort eines Weiſen bewaͤhren, welcher ſagte: wenn man der Welt etwas zu Liebe gethan habe, ſo wiſſe ſie dafuͤr zu ſorgen, daß man es nicht zum zweyten Male thue.“
„Ein weit verbreiteter Name, eine hohe Stellung im Leben ſind gute Dinge. Allein mit all meinem Namen und Stande habe ich es nicht weiter gebracht, als daß ich, um nicht zu verletzen, zu der Meinung Anderer ſchweige. Dieſes wuͤrde nun in der That ein ſehr ſchlechter Spaß ſeyn, wenn ich dabey nicht den Vortheil haͤtte, daß ich erfahre, wie die Anderen denken, aber ſie nicht wie ich.“
Sonntag den 15. Februar 1824.
Heute vor Tiſch hatte Goethe mich zu einer Spa¬ zierfahrt einladen laſſen. Ich fand ihn fruͤhſtuͤckend, als
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0127"n="107"/><p>„Mein eigentliches Gluͤck war mein poetiſches Sinnen<lb/>
und Schaffen. Allein wie ſehr war dieſes durch meine<lb/>
aͤußere Stellung geſtoͤrt, beſchraͤnkt und gehindert. Haͤtte<lb/>
ich mich mehr vom oͤffentlichen und geſchaͤftlichen Wir¬<lb/>
ken und Treiben zuruͤckhalten und mehr in der Einſam¬<lb/>
keit leben koͤnnen, ich waͤre gluͤcklicher geweſen und<lb/>
wuͤrde als Dichter weit mehr gemacht haben. So aber<lb/>ſollte ſich bald nach meinem Goͤtz und Werther an mir<lb/>
das Wort eines Weiſen bewaͤhren, welcher ſagte: wenn<lb/>
man der Welt etwas zu Liebe gethan habe, ſo wiſſe<lb/>ſie dafuͤr zu ſorgen, daß man es nicht zum zweyten<lb/>
Male thue.“</p><lb/><p>„Ein weit verbreiteter Name, eine hohe Stellung<lb/>
im Leben ſind gute Dinge. Allein mit all meinem<lb/>
Namen und Stande habe ich es nicht weiter gebracht,<lb/>
als daß ich, um nicht zu verletzen, zu der Meinung<lb/>
Anderer ſchweige. Dieſes wuͤrde nun in der That ein<lb/>ſehr ſchlechter Spaß ſeyn, wenn ich dabey nicht den<lb/>
Vortheil haͤtte, daß ich erfahre, wie die Anderen denken,<lb/>
aber ſie nicht wie ich.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="2"><datelinerendition="#right">Sonntag den 15. Februar 1824.<lb/></dateline><p>Heute vor Tiſch hatte Goethe mich zu einer Spa¬<lb/>
zierfahrt einladen laſſen. Ich fand ihn fruͤhſtuͤckend, als<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[107/0127]
„Mein eigentliches Gluͤck war mein poetiſches Sinnen
und Schaffen. Allein wie ſehr war dieſes durch meine
aͤußere Stellung geſtoͤrt, beſchraͤnkt und gehindert. Haͤtte
ich mich mehr vom oͤffentlichen und geſchaͤftlichen Wir¬
ken und Treiben zuruͤckhalten und mehr in der Einſam¬
keit leben koͤnnen, ich waͤre gluͤcklicher geweſen und
wuͤrde als Dichter weit mehr gemacht haben. So aber
ſollte ſich bald nach meinem Goͤtz und Werther an mir
das Wort eines Weiſen bewaͤhren, welcher ſagte: wenn
man der Welt etwas zu Liebe gethan habe, ſo wiſſe
ſie dafuͤr zu ſorgen, daß man es nicht zum zweyten
Male thue.“
„Ein weit verbreiteter Name, eine hohe Stellung
im Leben ſind gute Dinge. Allein mit all meinem
Namen und Stande habe ich es nicht weiter gebracht,
als daß ich, um nicht zu verletzen, zu der Meinung
Anderer ſchweige. Dieſes wuͤrde nun in der That ein
ſehr ſchlechter Spaß ſeyn, wenn ich dabey nicht den
Vortheil haͤtte, daß ich erfahre, wie die Anderen denken,
aber ſie nicht wie ich.“
Sonntag den 15. Februar 1824.
Heute vor Tiſch hatte Goethe mich zu einer Spa¬
zierfahrt einladen laſſen. Ich fand ihn fruͤhſtuͤckend, als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/127>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.