Wasserbejahung. Ferner: daß jeder Ort seine eigene Atmosphäre habe, daß jedoch in den Barometerständen von Europa eine große Gleichheit Statt finde. Die Natur sey incommensurabel, und bey den großen Irre¬ gularitäten sey es sehr schwer das Gesetzliche zu finden.
Während er mich so über höhere Dinge belehrte, gingen wir in dem breiten Sandwege des Gartens auf und ab. Wir traten in die Nähe des Hauses, das er seinem Diener aufzuschließen befahl, um mir später das Innere zu zeigen. Die weißabgetünchten Außenseiten sah ich ganz mit Rosenstöcken umgeben, die, von Spa¬ lieren gehalten, sich bis zum Dach hinaufgerankt hatten. Ich ging um das Haus herum und bemerkte zu meinem besonderen Interesse an den Wänden in den Zweigen des Rosengebüsches eine große Zahl mannigfaltiger Vogel¬ nester, die sich von vorigem Sommer her erhalten hat¬ ten und jetzt bey mangelndem Laube den Blicken frey standen. Besonders Nester der Hänflinge und verschie¬ dener Art Grasemücken, wie sie höher oder niedriger zu bauen Neigung haben.
Goethe führte mich darauf in das Innere des Hau¬ ses, das ich vorigen Sommer zu sehen versäumt hatte. Unten fand ich nur ein wohnbares Zimmer, an dessen Wänden einige Karten und Kupferstiche hingen; de߬ gleichen ein farbiges Portrait Goethe's in Lebensgröße und zwar von Meyer gemalt bald nach der Zurück¬ kunft beyder Freunde aus Italien. Goethe erscheint hier
Waſſerbejahung. Ferner: daß jeder Ort ſeine eigene Atmoſphaͤre habe, daß jedoch in den Barometerſtaͤnden von Europa eine große Gleichheit Statt finde. Die Natur ſey incommenſurabel, und bey den großen Irre¬ gularitaͤten ſey es ſehr ſchwer das Geſetzliche zu finden.
Waͤhrend er mich ſo uͤber hoͤhere Dinge belehrte, gingen wir in dem breiten Sandwege des Gartens auf und ab. Wir traten in die Naͤhe des Hauſes, das er ſeinem Diener aufzuſchließen befahl, um mir ſpaͤter das Innere zu zeigen. Die weißabgetuͤnchten Außenſeiten ſah ich ganz mit Roſenſtoͤcken umgeben, die, von Spa¬ lieren gehalten, ſich bis zum Dach hinaufgerankt hatten. Ich ging um das Haus herum und bemerkte zu meinem beſonderen Intereſſe an den Waͤnden in den Zweigen des Roſengebuͤſches eine große Zahl mannigfaltiger Vogel¬ neſter, die ſich von vorigem Sommer her erhalten hat¬ ten und jetzt bey mangelndem Laube den Blicken frey ſtanden. Beſonders Neſter der Haͤnflinge und verſchie¬ dener Art Graſemuͤcken, wie ſie hoͤher oder niedriger zu bauen Neigung haben.
Goethe fuͤhrte mich darauf in das Innere des Hau¬ ſes, das ich vorigen Sommer zu ſehen verſaͤumt hatte. Unten fand ich nur ein wohnbares Zimmer, an deſſen Waͤnden einige Karten und Kupferſtiche hingen; de߬ gleichen ein farbiges Portrait Goethe's in Lebensgroͤße und zwar von Meyer gemalt bald nach der Zuruͤck¬ kunft beyder Freunde aus Italien. Goethe erſcheint hier
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Waſſerbejahung. Ferner: daß jeder Ort ſeine eigene
Atmoſphaͤre habe, daß jedoch in den Barometerſtaͤnden
von Europa eine große Gleichheit Statt finde. Die
Natur ſey incommenſurabel, und bey den großen Irre¬
gularitaͤten ſey es ſehr ſchwer das Geſetzliche zu finden.
Waͤhrend er mich ſo uͤber hoͤhere Dinge belehrte,
gingen wir in dem breiten Sandwege des Gartens auf
und ab. Wir traten in die Naͤhe des Hauſes, das er
ſeinem Diener aufzuſchließen befahl, um mir ſpaͤter das
Innere zu zeigen. Die weißabgetuͤnchten Außenſeiten
ſah ich ganz mit Roſenſtoͤcken umgeben, die, von Spa¬
lieren gehalten, ſich bis zum Dach hinaufgerankt hatten.
Ich ging um das Haus herum und bemerkte zu meinem
beſonderen Intereſſe an den Waͤnden in den Zweigen
des Roſengebuͤſches eine große Zahl mannigfaltiger Vogel¬
neſter, die ſich von vorigem Sommer her erhalten hat¬
ten und jetzt bey mangelndem Laube den Blicken frey
ſtanden. Beſonders Neſter der Haͤnflinge und verſchie¬
dener Art Graſemuͤcken, wie ſie hoͤher oder niedriger
zu bauen Neigung haben.
Goethe fuͤhrte mich darauf in das Innere des Hau¬
ſes, das ich vorigen Sommer zu ſehen verſaͤumt hatte.
Unten fand ich nur ein wohnbares Zimmer, an deſſen
Waͤnden einige Karten und Kupferſtiche hingen; de߬
gleichen ein farbiges Portrait Goethe's in Lebensgroͤße
und zwar von Meyer gemalt bald nach der Zuruͤck¬
kunft beyder Freunde aus Italien. Goethe erſcheint hier
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/156>, abgerufen am 27.11.2024.
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