chen wollte, der sich auch nicht gemacht hat, und der doch ein Wesen höherer Art ist, zu dem ich hinaufblicke und das ich zu verehren habe."
Goethe war diesen Abend besonders kräftig, heiter und aufgelegt. Er holte ein Manuscript ungedruckter Gedichte herbey, woraus er mir vorlas. Es war ein Genuß ganz einziger Art ihm zuzuhören, denn nicht allein daß die originelle Kraft und Frische der Gedichte mich in hohem Grade anregte, sondern Goethe zeigte sich auch beym Vorlesen von einer mir bisher unbe¬ kannten höchst bedeutenden Seite. Welche Mannigfal¬ tigkeit und Kraft der Stimme! welcher Ausdruck und welches Leben des großen Gesichtes voller Falten! und welche Augen! --
Mittwoch den 14. April 1824.
Um ein Uhr mit Goethe spazieren gefahren. Wir sprachen über den Styl verschiedener Schriftsteller.
"Den Deutschen, sagte Goethe, ist im Ganzen die philosophische Speculation hinderlich, die in ihren Styl oft ein unsinnliches, unfaßliches, breites und aufdrö¬ selndes Wesen hineinbringt. Je näher sie sich gewissen philosophischen Schulen hingegeben, desto schlechter schrei¬ ben sie. Diejenigen Deutschen aber, die als Geschäfts- und Lebemenschen bloß aufs Praktische gehen, schreiben
chen wollte, der ſich auch nicht gemacht hat, und der doch ein Weſen hoͤherer Art iſt, zu dem ich hinaufblicke und das ich zu verehren habe.“
Goethe war dieſen Abend beſonders kraͤftig, heiter und aufgelegt. Er holte ein Manuſcript ungedruckter Gedichte herbey, woraus er mir vorlas. Es war ein Genuß ganz einziger Art ihm zuzuhoͤren, denn nicht allein daß die originelle Kraft und Friſche der Gedichte mich in hohem Grade anregte, ſondern Goethe zeigte ſich auch beym Vorleſen von einer mir bisher unbe¬ kannten hoͤchſt bedeutenden Seite. Welche Mannigfal¬ tigkeit und Kraft der Stimme! welcher Ausdruck und welches Leben des großen Geſichtes voller Falten! und welche Augen! —
Mittwoch den 14. April 1824.
Um ein Uhr mit Goethe ſpazieren gefahren. Wir ſprachen uͤber den Styl verſchiedener Schriftſteller.
„Den Deutſchen, ſagte Goethe, iſt im Ganzen die philoſophiſche Speculation hinderlich, die in ihren Styl oft ein unſinnliches, unfaßliches, breites und aufdroͤ¬ ſelndes Weſen hineinbringt. Je naͤher ſie ſich gewiſſen philoſophiſchen Schulen hingegeben, deſto ſchlechter ſchrei¬ ben ſie. Diejenigen Deutſchen aber, die als Geſchaͤfts- und Lebemenſchen bloß aufs Praktiſche gehen, ſchreiben
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chen wollte, der ſich auch nicht gemacht hat, und der doch
ein Weſen hoͤherer Art iſt, zu dem ich hinaufblicke und
das ich zu verehren habe.“
Goethe war dieſen Abend beſonders kraͤftig, heiter
und aufgelegt. Er holte ein Manuſcript ungedruckter
Gedichte herbey, woraus er mir vorlas. Es war ein
Genuß ganz einziger Art ihm zuzuhoͤren, denn nicht
allein daß die originelle Kraft und Friſche der Gedichte
mich in hohem Grade anregte, ſondern Goethe zeigte
ſich auch beym Vorleſen von einer mir bisher unbe¬
kannten hoͤchſt bedeutenden Seite. Welche Mannigfal¬
tigkeit und Kraft der Stimme! welcher Ausdruck und
welches Leben des großen Geſichtes voller Falten! und
welche Augen! —
Mittwoch den 14. April 1824.
Um ein Uhr mit Goethe ſpazieren gefahren. Wir
ſprachen uͤber den Styl verſchiedener Schriftſteller.
„Den Deutſchen, ſagte Goethe, iſt im Ganzen die
philoſophiſche Speculation hinderlich, die in ihren Styl
oft ein unſinnliches, unfaßliches, breites und aufdroͤ¬
ſelndes Weſen hineinbringt. Je naͤher ſie ſich gewiſſen
philoſophiſchen Schulen hingegeben, deſto ſchlechter ſchrei¬
ben ſie. Diejenigen Deutſchen aber, die als Geſchaͤfts-
und Lebemenſchen bloß aufs Praktiſche gehen, ſchreiben
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/164>, abgerufen am 26.11.2024.
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