Es war mir in diesen Tagen ein Antrag zugekom¬ men, für ein englisches Journal unter sehr vortheilhaften Bedingungen monatliche Berichte über die neuesten Er¬ zeugnisse deutscher Literatur einzusenden. Ich war sehr geneigt, das Anerbieten anzunehmen, doch dachte ich, es wäre vielleicht gut, die Angelegenheit zuvor mit Goethe zu bereden.
Ich ging deßhalb diesen Abend zur Zeit des Licht¬ anzündens zu ihm. Er saß bey herabgelassenen Rouleaux vor einem großen Tisch, auf welchem gespeis't worden und wo zwey Lichter brannten, die zugleich sein Gesicht und eine colossale Büste beleuchteten, die vor ihm auf dem Tische stand und mit deren Betrachtung er sich beschäftigte. "Nun? sagte Goethe, nachdem er mich freundlich begrüßt, auf die Büste deutend, wer ist das?" Ein Poet, und zwar ein Italiener scheint es zu seyn, sagte ich. "Es ist Dante, sagte Goethe. Er ist gut gemacht, es ist ein schöner Kopf, aber er ist doch nicht ganz erfreulich. Er ist schon alt, gebeugt, verdrießlich, die Züge schlaff und herabgezogen, als wenn er eben aus der Hölle käme. Ich besitze eine Medaille, die bey seinen Lebzeiten gemacht worden, da ist alles bey weitem schöner." Goethe stand auf und holte die Medaille. "Sehen Sie, was hier die Nase für Kraft hat, wie
Freytag den 3 December 1824.
Es war mir in dieſen Tagen ein Antrag zugekom¬ men, fuͤr ein engliſches Journal unter ſehr vortheilhaften Bedingungen monatliche Berichte uͤber die neueſten Er¬ zeugniſſe deutſcher Literatur einzuſenden. Ich war ſehr geneigt, das Anerbieten anzunehmen, doch dachte ich, es waͤre vielleicht gut, die Angelegenheit zuvor mit Goethe zu bereden.
Ich ging deßhalb dieſen Abend zur Zeit des Licht¬ anzuͤndens zu ihm. Er ſaß bey herabgelaſſenen Rouleaux vor einem großen Tiſch, auf welchem geſpeiſ't worden und wo zwey Lichter brannten, die zugleich ſein Geſicht und eine coloſſale Buͤſte beleuchteten, die vor ihm auf dem Tiſche ſtand und mit deren Betrachtung er ſich beſchaͤftigte. „Nun? ſagte Goethe, nachdem er mich freundlich begruͤßt, auf die Buͤſte deutend, wer iſt das?“ Ein Poet, und zwar ein Italiener ſcheint es zu ſeyn, ſagte ich. „Es iſt Dante, ſagte Goethe. Er iſt gut gemacht, es iſt ein ſchoͤner Kopf, aber er iſt doch nicht ganz erfreulich. Er iſt ſchon alt, gebeugt, verdrießlich, die Zuͤge ſchlaff und herabgezogen, als wenn er eben aus der Hoͤlle kaͤme. Ich beſitze eine Medaille, die bey ſeinen Lebzeiten gemacht worden, da iſt alles bey weitem ſchoͤner.“ Goethe ſtand auf und holte die Medaille. „Sehen Sie, was hier die Naſe fuͤr Kraft hat, wie
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Freytag den 3 December 1824.
Es war mir in dieſen Tagen ein Antrag zugekom¬
men, fuͤr ein engliſches Journal unter ſehr vortheilhaften
Bedingungen monatliche Berichte uͤber die neueſten Er¬
zeugniſſe deutſcher Literatur einzuſenden. Ich war ſehr
geneigt, das Anerbieten anzunehmen, doch dachte ich, es
waͤre vielleicht gut, die Angelegenheit zuvor mit Goethe
zu bereden.
Ich ging deßhalb dieſen Abend zur Zeit des Licht¬
anzuͤndens zu ihm. Er ſaß bey herabgelaſſenen Rouleaux
vor einem großen Tiſch, auf welchem geſpeiſ't worden
und wo zwey Lichter brannten, die zugleich ſein Geſicht
und eine coloſſale Buͤſte beleuchteten, die vor ihm auf
dem Tiſche ſtand und mit deren Betrachtung er ſich
beſchaͤftigte. „Nun? ſagte Goethe, nachdem er mich
freundlich begruͤßt, auf die Buͤſte deutend, wer iſt das?“
Ein Poet, und zwar ein Italiener ſcheint es zu ſeyn,
ſagte ich. „Es iſt Dante, ſagte Goethe. Er iſt gut
gemacht, es iſt ein ſchoͤner Kopf, aber er iſt doch nicht
ganz erfreulich. Er iſt ſchon alt, gebeugt, verdrießlich,
die Zuͤge ſchlaff und herabgezogen, als wenn er eben
aus der Hoͤlle kaͤme. Ich beſitze eine Medaille, die bey
ſeinen Lebzeiten gemacht worden, da iſt alles bey weitem
ſchoͤner.“ Goethe ſtand auf und holte die Medaille.
„Sehen Sie, was hier die Naſe fuͤr Kraft hat, wie
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/190>, abgerufen am 23.11.2024.
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