Humboldt und Schlegel unter meinen Augen aufzu¬ treten anfingen, war von der größten Wichtigkeit. Es sind mir daher unnennbare Vortheile entstanden."
Nach solchen Äußerungen über die Einflüsse bedeu¬ tender Personen auf ihn kam das Gespräch auf die Wirkungen, die er auf Andere gehabt, und ich erwähnte Bürger, bey welchem es mir problematisch erscheine, daß bey ihm, als einem reinen Naturtalent, gar keine Spur einer Einwirkung von Goethe's Seite wahrzu¬ nehmen.
"Bürger, sagte Goethe, hatte zu mir wohl eine Verwandtschaft als Talent, allein der Baum seiner sitt¬ lichen Cultur wurzelte in einem ganz anderen Boden und hatte eine ganz andere Richtung. Und jeder geht in der aufsteigenden Linie seiner Ausbildung fort, so wie er angefangen. Ein Mann aber, der in seinem dreyßigsten Jahre ein Gedicht wie die Frau Schnips schreiben konnte, mußte wohl in einer Bahn gehen, die von der meinigen ein wenig ablag. Auch hatte er durch sein bedeutendes Talent sich ein Publicum gewonnen, dem er völlig genügte, und er hatte daher keine Ursache, sich nach den Eigenschaften eines Mitstrebenden umzu¬ thun, der ihn weiter nichts anging."
"Überall, fuhr Goethe fort, lernt man nur von dem, den man liebt. -- Solche Gesinnungen finden sich nun wohl gegen mich bey jetzt heranwachsenden jungen Ta¬ lenten, allein ich fand sie sehr spärlich unter Gleich¬
Humboldt und Schlegel unter meinen Augen aufzu¬ treten anfingen, war von der groͤßten Wichtigkeit. Es ſind mir daher unnennbare Vortheile entſtanden.“
Nach ſolchen Äußerungen uͤber die Einfluͤſſe bedeu¬ tender Perſonen auf ihn kam das Geſpraͤch auf die Wirkungen, die er auf Andere gehabt, und ich erwaͤhnte Buͤrger, bey welchem es mir problematiſch erſcheine, daß bey ihm, als einem reinen Naturtalent, gar keine Spur einer Einwirkung von Goethe's Seite wahrzu¬ nehmen.
„Buͤrger, ſagte Goethe, hatte zu mir wohl eine Verwandtſchaft als Talent, allein der Baum ſeiner ſitt¬ lichen Cultur wurzelte in einem ganz anderen Boden und hatte eine ganz andere Richtung. Und jeder geht in der aufſteigenden Linie ſeiner Ausbildung fort, ſo wie er angefangen. Ein Mann aber, der in ſeinem dreyßigſten Jahre ein Gedicht wie die Frau Schnips ſchreiben konnte, mußte wohl in einer Bahn gehen, die von der meinigen ein wenig ablag. Auch hatte er durch ſein bedeutendes Talent ſich ein Publicum gewonnen, dem er voͤllig genuͤgte, und er hatte daher keine Urſache, ſich nach den Eigenſchaften eines Mitſtrebenden umzu¬ thun, der ihn weiter nichts anging.“
„Überall, fuhr Goethe fort, lernt man nur von dem, den man liebt. — Solche Geſinnungen finden ſich nun wohl gegen mich bey jetzt heranwachſenden jungen Ta¬ lenten, allein ich fand ſie ſehr ſpaͤrlich unter Gleich¬
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Humboldt und Schlegel unter meinen Augen aufzu¬
treten anfingen, war von der groͤßten Wichtigkeit. Es
ſind mir daher unnennbare Vortheile entſtanden.“
Nach ſolchen Äußerungen uͤber die Einfluͤſſe bedeu¬
tender Perſonen auf ihn kam das Geſpraͤch auf die
Wirkungen, die er auf Andere gehabt, und ich erwaͤhnte
Buͤrger, bey welchem es mir problematiſch erſcheine,
daß bey ihm, als einem reinen Naturtalent, gar keine
Spur einer Einwirkung von Goethe's Seite wahrzu¬
nehmen.
„Buͤrger, ſagte Goethe, hatte zu mir wohl eine
Verwandtſchaft als Talent, allein der Baum ſeiner ſitt¬
lichen Cultur wurzelte in einem ganz anderen Boden
und hatte eine ganz andere Richtung. Und jeder geht
in der aufſteigenden Linie ſeiner Ausbildung fort, ſo
wie er angefangen. Ein Mann aber, der in ſeinem
dreyßigſten Jahre ein Gedicht wie die Frau Schnips
ſchreiben konnte, mußte wohl in einer Bahn gehen, die
von der meinigen ein wenig ablag. Auch hatte er durch
ſein bedeutendes Talent ſich ein Publicum gewonnen,
dem er voͤllig genuͤgte, und er hatte daher keine Urſache,
ſich nach den Eigenſchaften eines Mitſtrebenden umzu¬
thun, der ihn weiter nichts anging.“
„Überall, fuhr Goethe fort, lernt man nur von dem,
den man liebt. — Solche Geſinnungen finden ſich nun
wohl gegen mich bey jetzt heranwachſenden jungen Ta¬
lenten, allein ich fand ſie ſehr ſpaͤrlich unter Gleich¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/240>, abgerufen am 24.11.2024.
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