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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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man den ersten Theil, des Hergangs der Sache willen,
bloß einmal geben, und sodann bloß den zweyten Theil
wiederholt fortspielen, so möchte es gehen. Ein ähnliches
Verhältniß hat es mit dem Wallenstein; die Piccolomini
werden nicht wiederholt, aber Wallensteins Tod wird
immerfort gern gesehen."

Ich fragte, wie ein Stück beschaffen seyn müsse, um
theatralisch zu seyn.

"Es muß symbolisch seyn, antwortete Goethe. Das
heißt: jede Handlung muß an sich bedeutend seyn und
auf eine noch wichtigere hinzielen. Der Tartüffe von
Moliere ist in dieser Hinsicht ein großes Muster. Den¬
ken Sie nur an die erste Scene, was das für eine
Exposition ist! Alles ist sogleich vom Anfange herein
höchst bedeutend und läßt auf etwas noch Wichtigeres
schließen, was kommen wird. Die Exposition von
Lessings Minna von Barnhelm ist auch vortrefflich,
allein diese des Tartüffe ist nur einmal in der Welt da; sie
ist das Größte und Beste, was in dieser Art vor¬
handen."

Wir kamen auf die Calderon'schen Stücke.

"Bey Calderon, sagte Goethe, finden Sie dieselbe
theatralische Vollkommenheit. Seine Stücke sind durch¬
aus bretterrecht, es ist in ihnen kein Zug, der nicht für
die beabsichtigte Wirkung calculirt wäre. Calderon ist
dasjenige Genie, was zugleich den größten Verstand
hatte."

man den erſten Theil, des Hergangs der Sache willen,
bloß einmal geben, und ſodann bloß den zweyten Theil
wiederholt fortſpielen, ſo moͤchte es gehen. Ein aͤhnliches
Verhaͤltniß hat es mit dem Wallenſtein; die Piccolomini
werden nicht wiederholt, aber Wallenſteins Tod wird
immerfort gern geſehen.“

Ich fragte, wie ein Stuͤck beſchaffen ſeyn muͤſſe, um
theatraliſch zu ſeyn.

„Es muß ſymboliſch ſeyn, antwortete Goethe. Das
heißt: jede Handlung muß an ſich bedeutend ſeyn und
auf eine noch wichtigere hinzielen. Der Tartuͤffe von
Molière iſt in dieſer Hinſicht ein großes Muſter. Den¬
ken Sie nur an die erſte Scene, was das fuͤr eine
Expoſition iſt! Alles iſt ſogleich vom Anfange herein
hoͤchſt bedeutend und laͤßt auf etwas noch Wichtigeres
ſchließen, was kommen wird. Die Expoſition von
Leſſings Minna von Barnhelm iſt auch vortrefflich,
allein dieſe des Tartuͤffe iſt nur einmal in der Welt da; ſie
iſt das Groͤßte und Beſte, was in dieſer Art vor¬
handen.“

Wir kamen auf die Calderon'ſchen Stuͤcke.

„Bey Calderon, ſagte Goethe, finden Sie dieſelbe
theatraliſche Vollkommenheit. Seine Stuͤcke ſind durch¬
aus bretterrecht, es iſt in ihnen kein Zug, der nicht fuͤr
die beabſichtigte Wirkung calculirt waͤre. Calderon iſt
dasjenige Genie, was zugleich den groͤßten Verſtand
hatte.“

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[251/0271] man den erſten Theil, des Hergangs der Sache willen, bloß einmal geben, und ſodann bloß den zweyten Theil wiederholt fortſpielen, ſo moͤchte es gehen. Ein aͤhnliches Verhaͤltniß hat es mit dem Wallenſtein; die Piccolomini werden nicht wiederholt, aber Wallenſteins Tod wird immerfort gern geſehen.“ Ich fragte, wie ein Stuͤck beſchaffen ſeyn muͤſſe, um theatraliſch zu ſeyn. „Es muß ſymboliſch ſeyn, antwortete Goethe. Das heißt: jede Handlung muß an ſich bedeutend ſeyn und auf eine noch wichtigere hinzielen. Der Tartuͤffe von Molière iſt in dieſer Hinſicht ein großes Muſter. Den¬ ken Sie nur an die erſte Scene, was das fuͤr eine Expoſition iſt! Alles iſt ſogleich vom Anfange herein hoͤchſt bedeutend und laͤßt auf etwas noch Wichtigeres ſchließen, was kommen wird. Die Expoſition von Leſſings Minna von Barnhelm iſt auch vortrefflich, allein dieſe des Tartuͤffe iſt nur einmal in der Welt da; ſie iſt das Groͤßte und Beſte, was in dieſer Art vor¬ handen.“ Wir kamen auf die Calderon'ſchen Stuͤcke. „Bey Calderon, ſagte Goethe, finden Sie dieſelbe theatraliſche Vollkommenheit. Seine Stuͤcke ſind durch¬ aus bretterrecht, es iſt in ihnen kein Zug, der nicht fuͤr die beabſichtigte Wirkung calculirt waͤre. Calderon iſt dasjenige Genie, was zugleich den groͤßten Verſtand hatte.“

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/271>, abgerufen am 24.11.2024.