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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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wie die Zeit unter Napoleon sind der Sache günstig
gewesen. Denn wenn auch die kriegerischen Jahre kein
eigentlich poetisches Interesse aufkommen ließen und
also für den Augenblick den Musen zuwider waren, so
haben sich doch in dieser Zeit eine Menge freyer Geister
gebildet, die nun im Frieden zur Besinnung kommen
und als bedeutende Talente hervortreten."

Ich fragte Goethe, ob die Partey der Classiker auch
dem trefflichen B e ranger entgegen gewesen? "Das
Genre, worin Beranger dichtet, sagte Goethe, ist ein
älteres, herkömmliches, woran man gewöhnt war; doch
hat auch er sich in manchen Dingen freyer bewegt als
seine Vorgänger und ist deßhalb von der pedantischen
Partey angefeindet worden."

Das Gespräch lenkte sich auf die Malerey und auf
den Schaden der alterthümelnden Schule. "Sie präten¬
diren kein Kenner zu seyn, sagte Goethe, und doch will
ich Ihnen ein Bild vorlegen, an welchem Ihnen, obgleich
es von einem unserer besten jetzt lebenden deutschen Maler
gemacht worden, dennoch die bedeutendsten Verstöße gegen
die ersten Gesetze der Kunst sogleich in die Augen fallen
sollen. Sie werden sehen, das Einzelne ist hübsch ge¬
macht, aber es wird Ihnen bey dem Ganzen nicht
wohl werden, und Sie werden nicht wissen, was Sie
daraus machen sollen. Und zwar dieses nicht, weil der
Meister des Bildes kein hinreichendes Talent ist, sondern
weil sein Geist, der das Talent leiten soll, eben so ver¬

wie die Zeit unter Napoleon ſind der Sache guͤnſtig
geweſen. Denn wenn auch die kriegeriſchen Jahre kein
eigentlich poetiſches Intereſſe aufkommen ließen und
alſo fuͤr den Augenblick den Muſen zuwider waren, ſo
haben ſich doch in dieſer Zeit eine Menge freyer Geiſter
gebildet, die nun im Frieden zur Beſinnung kommen
und als bedeutende Talente hervortreten.“

Ich fragte Goethe, ob die Partey der Claſſiker auch
dem trefflichen B é ranger entgegen geweſen? „Das
Genre, worin Béranger dichtet, ſagte Goethe, iſt ein
aͤlteres, herkoͤmmliches, woran man gewoͤhnt war; doch
hat auch er ſich in manchen Dingen freyer bewegt als
ſeine Vorgaͤnger und iſt deßhalb von der pedantiſchen
Partey angefeindet worden.“

Das Geſpraͤch lenkte ſich auf die Malerey und auf
den Schaden der alterthuͤmelnden Schule. „Sie praͤten¬
diren kein Kenner zu ſeyn, ſagte Goethe, und doch will
ich Ihnen ein Bild vorlegen, an welchem Ihnen, obgleich
es von einem unſerer beſten jetzt lebenden deutſchen Maler
gemacht worden, dennoch die bedeutendſten Verſtoͤße gegen
die erſten Geſetze der Kunſt ſogleich in die Augen fallen
ſollen. Sie werden ſehen, das Einzelne iſt huͤbſch ge¬
macht, aber es wird Ihnen bey dem Ganzen nicht
wohl werden, und Sie werden nicht wiſſen, was Sie
daraus machen ſollen. Und zwar dieſes nicht, weil der
Meiſter des Bildes kein hinreichendes Talent iſt, ſondern
weil ſein Geiſt, der das Talent leiten ſoll, eben ſo ver¬

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[280/0300] wie die Zeit unter Napoleon ſind der Sache guͤnſtig geweſen. Denn wenn auch die kriegeriſchen Jahre kein eigentlich poetiſches Intereſſe aufkommen ließen und alſo fuͤr den Augenblick den Muſen zuwider waren, ſo haben ſich doch in dieſer Zeit eine Menge freyer Geiſter gebildet, die nun im Frieden zur Beſinnung kommen und als bedeutende Talente hervortreten.“ Ich fragte Goethe, ob die Partey der Claſſiker auch dem trefflichen B é ranger entgegen geweſen? „Das Genre, worin Béranger dichtet, ſagte Goethe, iſt ein aͤlteres, herkoͤmmliches, woran man gewoͤhnt war; doch hat auch er ſich in manchen Dingen freyer bewegt als ſeine Vorgaͤnger und iſt deßhalb von der pedantiſchen Partey angefeindet worden.“ Das Geſpraͤch lenkte ſich auf die Malerey und auf den Schaden der alterthuͤmelnden Schule. „Sie praͤten¬ diren kein Kenner zu ſeyn, ſagte Goethe, und doch will ich Ihnen ein Bild vorlegen, an welchem Ihnen, obgleich es von einem unſerer beſten jetzt lebenden deutſchen Maler gemacht worden, dennoch die bedeutendſten Verſtoͤße gegen die erſten Geſetze der Kunſt ſogleich in die Augen fallen ſollen. Sie werden ſehen, das Einzelne iſt huͤbſch ge¬ macht, aber es wird Ihnen bey dem Ganzen nicht wohl werden, und Sie werden nicht wiſſen, was Sie daraus machen ſollen. Und zwar dieſes nicht, weil der Meiſter des Bildes kein hinreichendes Talent iſt, ſondern weil ſein Geiſt, der das Talent leiten ſoll, eben ſo ver¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/300>, abgerufen am 24.11.2024.