abwechselnd am Ofen. Ich las wie gewöhnlich leise für mich.
Die Bogen des letzten Abends hatten damit geschlos¬ sen, daß der Löwe außerhalb der Ringmauer der alten Ruine am Fuße einer hundertjährigen Buche in der Sonne liege und daß man Anstalten mache, sich seiner zu bemächtigen. Der Fürst will die Jäger nach ihm aussenden, der Fremdling aber bittet seines Löwen zu schonen, indem er gewiß sey, ihn durch sanftere Mittel in den eisernen Käfich zurückzuschaffen. Dieses Kind, sagt er, wird durch liebliche Lieder und den Ton seiner süßen Flöte das Werk vollbringen. Der Fürst giebt es zu und nachdem er die nöthigen Vorsichtsmaßregeln angeordnet, reitet er mit den Seinigen in die Stadt zurück. Honorio mit einer Anzahl Jäger besetzt den Hohlweg, um den Löwen, im Fall er herabkäme, durch ein anzuzündendes Feuer zurückzuscheuchen. Mutter und Kind, vom Schloßwärtel geführt, steigen die Ruine hinan, an deren anderen Seite, an der Ringmauer, der Löwe liegt.
Das gewaltige Thier in den geräumigen Schloßhof hereinzulocken ist die Absicht. Mutter und Wärtel ver¬ bergen sich oben in dem halbverfallenen Rittersaale, das Kind allein geht durch die dunkele Maueröffnung des Hofes zum Löwen hinaus. Eine erwartungsvolle Pause tritt ein, man weiß nicht, was aus dem Kinde wird, die Töne seiner Flöte verstummen. Der Wärtel macht
abwechſelnd am Ofen. Ich las wie gewoͤhnlich leiſe fuͤr mich.
Die Bogen des letzten Abends hatten damit geſchloſ¬ ſen, daß der Loͤwe außerhalb der Ringmauer der alten Ruine am Fuße einer hundertjaͤhrigen Buche in der Sonne liege und daß man Anſtalten mache, ſich ſeiner zu bemaͤchtigen. Der Fuͤrſt will die Jaͤger nach ihm ausſenden, der Fremdling aber bittet ſeines Loͤwen zu ſchonen, indem er gewiß ſey, ihn durch ſanftere Mittel in den eiſernen Kaͤfich zuruͤckzuſchaffen. Dieſes Kind, ſagt er, wird durch liebliche Lieder und den Ton ſeiner ſuͤßen Floͤte das Werk vollbringen. Der Fuͤrſt giebt es zu und nachdem er die noͤthigen Vorſichtsmaßregeln angeordnet, reitet er mit den Seinigen in die Stadt zuruͤck. Honorio mit einer Anzahl Jaͤger beſetzt den Hohlweg, um den Loͤwen, im Fall er herabkaͤme, durch ein anzuzuͤndendes Feuer zuruͤckzuſcheuchen. Mutter und Kind, vom Schloßwaͤrtel gefuͤhrt, ſteigen die Ruine hinan, an deren anderen Seite, an der Ringmauer, der Loͤwe liegt.
Das gewaltige Thier in den geraͤumigen Schloßhof hereinzulocken iſt die Abſicht. Mutter und Waͤrtel ver¬ bergen ſich oben in dem halbverfallenen Ritterſaale, das Kind allein geht durch die dunkele Maueroͤffnung des Hofes zum Loͤwen hinaus. Eine erwartungsvolle Pauſe tritt ein, man weiß nicht, was aus dem Kinde wird, die Toͤne ſeiner Floͤte verſtummen. Der Waͤrtel macht
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abwechſelnd am Ofen. Ich las wie gewoͤhnlich leiſe
fuͤr mich.
Die Bogen des letzten Abends hatten damit geſchloſ¬
ſen, daß der Loͤwe außerhalb der Ringmauer der alten
Ruine am Fuße einer hundertjaͤhrigen Buche in der
Sonne liege und daß man Anſtalten mache, ſich ſeiner
zu bemaͤchtigen. Der Fuͤrſt will die Jaͤger nach ihm
ausſenden, der Fremdling aber bittet ſeines Loͤwen zu
ſchonen, indem er gewiß ſey, ihn durch ſanftere Mittel
in den eiſernen Kaͤfich zuruͤckzuſchaffen. Dieſes Kind,
ſagt er, wird durch liebliche Lieder und den Ton ſeiner
ſuͤßen Floͤte das Werk vollbringen. Der Fuͤrſt giebt es
zu und nachdem er die noͤthigen Vorſichtsmaßregeln
angeordnet, reitet er mit den Seinigen in die Stadt
zuruͤck. Honorio mit einer Anzahl Jaͤger beſetzt den
Hohlweg, um den Loͤwen, im Fall er herabkaͤme, durch
ein anzuzuͤndendes Feuer zuruͤckzuſcheuchen. Mutter und
Kind, vom Schloßwaͤrtel gefuͤhrt, ſteigen die Ruine
hinan, an deren anderen Seite, an der Ringmauer, der
Loͤwe liegt.
Das gewaltige Thier in den geraͤumigen Schloßhof
hereinzulocken iſt die Abſicht. Mutter und Waͤrtel ver¬
bergen ſich oben in dem halbverfallenen Ritterſaale, das
Kind allein geht durch die dunkele Maueroͤffnung des
Hofes zum Loͤwen hinaus. Eine erwartungsvolle Pauſe
tritt ein, man weiß nicht, was aus dem Kinde wird,
die Toͤne ſeiner Floͤte verſtummen. Der Waͤrtel macht
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/319>, abgerufen am 25.11.2024.
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