Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

womit sie Jedes erwiederten, und so schrieben sie Briefe
zu hunderten, die sich alle gleich und alle Phrase wa¬
ren. In mir aber lag dieses nie. Wenn ich nicht
Jemanden etwas Besonderes und Gehöriges sagen konn¬
te, wie es in der jedesmaligen Sache lag, so schrieb
ich lieber gar nicht. Oberflächliche Redensarten hielt
ich für unwürdig, und so ist es denn gekommen, daß
ich manchem wackern Manne, dem ich gerne geschrieben
hätte, nicht antworten konnte. Sie sehen ja selbst, wie
das bey mir geht und welche Zusendungen von allen
Ecken und Enden täglich bey mir einlaufen, und müs¬
sen gestehen, daß dazu mehr als ein Menschenleben
gehören würde, wenn man alles nur flüchtig erwiedern
wollte. Aber um Solger thut es mir leid, er ist gar
zu vortrefflich und hätte vor vielen andern etwas Freund¬
liches verdient."

Ich brachte das Gespräch auf die Novelle, die ich
nun zu Hause wiederholt gelesen und betrachtet hatte.
Der ganze Anfang, sagte ich, ist nichts als Exposition,
aber es ist darin nichts vorgeführt als das Nothwendige,
und das Nothwendige mit Anmuth, so daß man nicht
glaubt, es sey eines andern wegen da, sondern es wolle
bloß für sich selber seyn und für sich selber gelten.

"Es ist mir lieb, sagte Goethe, wenn Sie dieses
so finden. Doch Eins muß ich noch thun. Nach den
Gesetzen einer guten Exposition nämlich muß ich die
Besitzer der Thiere schon vorne auftreten lassen. Wenn

womit ſie Jedes erwiederten, und ſo ſchrieben ſie Briefe
zu hunderten, die ſich alle gleich und alle Phraſe wa¬
ren. In mir aber lag dieſes nie. Wenn ich nicht
Jemanden etwas Beſonderes und Gehoͤriges ſagen konn¬
te, wie es in der jedesmaligen Sache lag, ſo ſchrieb
ich lieber gar nicht. Oberflaͤchliche Redensarten hielt
ich fuͤr unwuͤrdig, und ſo iſt es denn gekommen, daß
ich manchem wackern Manne, dem ich gerne geſchrieben
haͤtte, nicht antworten konnte. Sie ſehen ja ſelbſt, wie
das bey mir geht und welche Zuſendungen von allen
Ecken und Enden taͤglich bey mir einlaufen, und muͤſ¬
ſen geſtehen, daß dazu mehr als ein Menſchenleben
gehoͤren wuͤrde, wenn man alles nur fluͤchtig erwiedern
wollte. Aber um Solger thut es mir leid, er iſt gar
zu vortrefflich und haͤtte vor vielen andern etwas Freund¬
liches verdient.“

Ich brachte das Geſpraͤch auf die Novelle, die ich
nun zu Hauſe wiederholt geleſen und betrachtet hatte.
Der ganze Anfang, ſagte ich, iſt nichts als Expoſition,
aber es iſt darin nichts vorgefuͤhrt als das Nothwendige,
und das Nothwendige mit Anmuth, ſo daß man nicht
glaubt, es ſey eines andern wegen da, ſondern es wolle
bloß fuͤr ſich ſelber ſeyn und fuͤr ſich ſelber gelten.

„Es iſt mir lieb, ſagte Goethe, wenn Sie dieſes
ſo finden. Doch Eins muß ich noch thun. Nach den
Geſetzen einer guten Expoſition naͤmlich muß ich die
Beſitzer der Thiere ſchon vorne auftreten laſſen. Wenn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0333" n="313"/>
womit &#x017F;ie Jedes erwiederten, und &#x017F;o &#x017F;chrieben &#x017F;ie Briefe<lb/>
zu hunderten, die &#x017F;ich alle gleich und alle Phra&#x017F;e wa¬<lb/>
ren. In mir aber lag die&#x017F;es nie. Wenn ich nicht<lb/>
Jemanden etwas Be&#x017F;onderes und Geho&#x0364;riges &#x017F;agen konn¬<lb/>
te, wie es in der jedesmaligen Sache lag, &#x017F;o &#x017F;chrieb<lb/>
ich lieber gar nicht. Oberfla&#x0364;chliche Redensarten hielt<lb/>
ich fu&#x0364;r unwu&#x0364;rdig, und &#x017F;o i&#x017F;t es denn gekommen, daß<lb/>
ich manchem wackern Manne, dem ich gerne ge&#x017F;chrieben<lb/>
ha&#x0364;tte, nicht antworten konnte. Sie &#x017F;ehen ja &#x017F;elb&#x017F;t, wie<lb/>
das bey mir geht und welche Zu&#x017F;endungen von allen<lb/>
Ecken und Enden ta&#x0364;glich bey mir einlaufen, und mu&#x0364;&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en ge&#x017F;tehen, daß dazu mehr als <hi rendition="#g">ein</hi> Men&#x017F;chenleben<lb/>
geho&#x0364;ren wu&#x0364;rde, wenn man alles nur flu&#x0364;chtig erwiedern<lb/>
wollte. Aber um Solger thut es mir leid, er i&#x017F;t gar<lb/>
zu vortrefflich und ha&#x0364;tte vor vielen andern etwas Freund¬<lb/>
liches verdient.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ich brachte das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch auf die Novelle, die ich<lb/>
nun zu Hau&#x017F;e wiederholt gele&#x017F;en und betrachtet hatte.<lb/>
Der ganze Anfang, &#x017F;agte ich, i&#x017F;t nichts als Expo&#x017F;ition,<lb/>
aber es i&#x017F;t darin nichts vorgefu&#x0364;hrt als das Nothwendige,<lb/>
und das Nothwendige mit Anmuth, &#x017F;o daß man nicht<lb/>
glaubt, es &#x017F;ey eines andern wegen da, &#x017F;ondern es wolle<lb/>
bloß fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elber &#x017F;eyn und fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elber gelten.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es i&#x017F;t mir lieb, &#x017F;agte Goethe, wenn Sie die&#x017F;es<lb/>
&#x017F;o finden. Doch Eins muß ich noch thun. Nach den<lb/>
Ge&#x017F;etzen einer guten Expo&#x017F;ition na&#x0364;mlich muß ich die<lb/>
Be&#x017F;itzer der Thiere &#x017F;chon vorne auftreten la&#x017F;&#x017F;en. Wenn<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[313/0333] womit ſie Jedes erwiederten, und ſo ſchrieben ſie Briefe zu hunderten, die ſich alle gleich und alle Phraſe wa¬ ren. In mir aber lag dieſes nie. Wenn ich nicht Jemanden etwas Beſonderes und Gehoͤriges ſagen konn¬ te, wie es in der jedesmaligen Sache lag, ſo ſchrieb ich lieber gar nicht. Oberflaͤchliche Redensarten hielt ich fuͤr unwuͤrdig, und ſo iſt es denn gekommen, daß ich manchem wackern Manne, dem ich gerne geſchrieben haͤtte, nicht antworten konnte. Sie ſehen ja ſelbſt, wie das bey mir geht und welche Zuſendungen von allen Ecken und Enden taͤglich bey mir einlaufen, und muͤſ¬ ſen geſtehen, daß dazu mehr als ein Menſchenleben gehoͤren wuͤrde, wenn man alles nur fluͤchtig erwiedern wollte. Aber um Solger thut es mir leid, er iſt gar zu vortrefflich und haͤtte vor vielen andern etwas Freund¬ liches verdient.“ Ich brachte das Geſpraͤch auf die Novelle, die ich nun zu Hauſe wiederholt geleſen und betrachtet hatte. Der ganze Anfang, ſagte ich, iſt nichts als Expoſition, aber es iſt darin nichts vorgefuͤhrt als das Nothwendige, und das Nothwendige mit Anmuth, ſo daß man nicht glaubt, es ſey eines andern wegen da, ſondern es wolle bloß fuͤr ſich ſelber ſeyn und fuͤr ſich ſelber gelten. „Es iſt mir lieb, ſagte Goethe, wenn Sie dieſes ſo finden. Doch Eins muß ich noch thun. Nach den Geſetzen einer guten Expoſition naͤmlich muß ich die Beſitzer der Thiere ſchon vorne auftreten laſſen. Wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/333
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/333>, abgerufen am 24.11.2024.