Als der Canzler und Coudray gingen, bat Goethe mich, noch ein wenig bey ihm zu bleiben. "Da ich in Jahrtausenden lebe, sagte er, so kommt es mir immer wunderlich vor, wenn ich von Statuen und Monumen¬ ten höre. Ich kann nicht an eine Bildsäule denken, die einem verdienten Manne gesetzt wird, ohne sie im Geiste schon von künftigen Kriegern umgeworfen und zerschlagen zu sehen. Coudray's Eisenstäbe um das Wielandische Grab sehe ich schon als Hufeisen unter den Pferdefüßen einer künftigen Cavallerie blinken, und ich kann noch dazu sagen, daß ich bereits einen ähn¬ lichen Fall in Frankfurt erlebt habe. Das Wielandische Grab liegt überdieß viel zu nahe an der Ilm; der Fluß braucht in seiner raschen Biegung kaum ein hundert Jahre am Ufer fort zu zehren, und er wird die Todten erreicht haben."
Wir scherzten mit gutem Humor über die entsetzliche Unbeständigkeit der irdischen Dinge und nahmen sodann Coudray's Zeichnung wieder zur Hand und freuten uns an den zarten und kräftigen Zügen der englischen Bley¬ feder, die dem Zeichner so zu Willen gewesen war, daß der Gedanke unmittelbar ohne den geringsten Verlust auf dem Papiere stand.
Dieß führte das Gespräch auf Handzeichnungen, und Goethe zeigte mir eine ganz vortreffliche eines italieni¬ schen Meisters, den Knaben Jesus darstellend im Tem¬ pel unter den Schriftgelehrten. Daneben zeigte er mir
Als der Canzler und Coudray gingen, bat Goethe mich, noch ein wenig bey ihm zu bleiben. „Da ich in Jahrtauſenden lebe, ſagte er, ſo kommt es mir immer wunderlich vor, wenn ich von Statuen und Monumen¬ ten hoͤre. Ich kann nicht an eine Bildſaͤule denken, die einem verdienten Manne geſetzt wird, ohne ſie im Geiſte ſchon von kuͤnftigen Kriegern umgeworfen und zerſchlagen zu ſehen. Coudray's Eiſenſtaͤbe um das Wielandiſche Grab ſehe ich ſchon als Hufeiſen unter den Pferdefuͤßen einer kuͤnftigen Cavallerie blinken, und ich kann noch dazu ſagen, daß ich bereits einen aͤhn¬ lichen Fall in Frankfurt erlebt habe. Das Wielandiſche Grab liegt uͤberdieß viel zu nahe an der Ilm; der Fluß braucht in ſeiner raſchen Biegung kaum ein hundert Jahre am Ufer fort zu zehren, und er wird die Todten erreicht haben.“
Wir ſcherzten mit gutem Humor uͤber die entſetzliche Unbeſtaͤndigkeit der irdiſchen Dinge und nahmen ſodann Coudray's Zeichnung wieder zur Hand und freuten uns an den zarten und kraͤftigen Zuͤgen der engliſchen Bley¬ feder, die dem Zeichner ſo zu Willen geweſen war, daß der Gedanke unmittelbar ohne den geringſten Verluſt auf dem Papiere ſtand.
Dieß fuͤhrte das Geſpraͤch auf Handzeichnungen, und Goethe zeigte mir eine ganz vortreffliche eines italieni¬ ſchen Meiſters, den Knaben Jeſus darſtellend im Tem¬ pel unter den Schriftgelehrten. Daneben zeigte er mir
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Als der Canzler und Coudray gingen, bat Goethe
mich, noch ein wenig bey ihm zu bleiben. „Da ich in
Jahrtauſenden lebe, ſagte er, ſo kommt es mir immer
wunderlich vor, wenn ich von Statuen und Monumen¬
ten hoͤre. Ich kann nicht an eine Bildſaͤule denken,
die einem verdienten Manne geſetzt wird, ohne ſie im
Geiſte ſchon von kuͤnftigen Kriegern umgeworfen und
zerſchlagen zu ſehen. Coudray's Eiſenſtaͤbe um das
Wielandiſche Grab ſehe ich ſchon als Hufeiſen unter
den Pferdefuͤßen einer kuͤnftigen Cavallerie blinken, und
ich kann noch dazu ſagen, daß ich bereits einen aͤhn¬
lichen Fall in Frankfurt erlebt habe. Das Wielandiſche
Grab liegt uͤberdieß viel zu nahe an der Ilm; der Fluß
braucht in ſeiner raſchen Biegung kaum ein hundert
Jahre am Ufer fort zu zehren, und er wird die Todten
erreicht haben.“
Wir ſcherzten mit gutem Humor uͤber die entſetzliche
Unbeſtaͤndigkeit der irdiſchen Dinge und nahmen ſodann
Coudray's Zeichnung wieder zur Hand und freuten uns
an den zarten und kraͤftigen Zuͤgen der engliſchen Bley¬
feder, die dem Zeichner ſo zu Willen geweſen war, daß
der Gedanke unmittelbar ohne den geringſten Verluſt
auf dem Papiere ſtand.
Dieß fuͤhrte das Geſpraͤch auf Handzeichnungen, und
Goethe zeigte mir eine ganz vortreffliche eines italieni¬
ſchen Meiſters, den Knaben Jeſus darſtellend im Tem¬
pel unter den Schriftgelehrten. Daneben zeigte er mir
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/380>, abgerufen am 22.11.2024.
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