Wir hatten nicht lange geredet, als der Canzler hereintrat und sich zu uns setzte. Er erzählte uns Nach¬ richten aus öffentlichen Blättern, unter andern von einem Wärter einer Menagerie, der aus Gelüste nach Löwenfleisch einen Löwen getödtet und sich ein gutes Stück davon zubereitet habe. "Mich wundert, sagte Goethe, daß er nicht einen Affen genommen hat, wel¬ ches ein gar zarter schmackhafter Bissen seyn soll." Wir sprachen über die Häßlichkeit dieser Bestien und daß sie desto unangenehmer, je ähnlicher die Race dem Men¬ schen sey. Ich begreife nicht, sagte der Canzler, wie fürstliche Personen solche Thiere in ihrer Nähe dulden, ja vielleicht gar Gefallen daran finden können. "Fürst¬ liche Personen, sagte Goethe, werden so viel mit wider¬ wärtigen Menschen geplagt, daß sie die widerwärtigeren Thiere als ein Heilmittel gegen dergleichen unangenehme Eindrücke betrachten. Uns Andern sind Affen und Ge¬ schrey der Papagayen mit Recht widerwärtig, weil wir diese Thiere hier in einer Umgebung sehen, für die sie nicht gemacht sind. Wären wir aber in dem Fall, auf Elephanten unter Palmen zu reiten, so würden wir in einem solchen Element Affen und Papagayen ganz gehörig, ja vielleicht gar erfreulich finden. Aber, wie gesagt, die Fürsten haben Recht, etwas Widerwär¬ tiges mit etwas noch Widerwärtigerem zu vertreiben." -- Hiebey, sagte ich, fällt mir ein Vers ein, den Sie vielleicht selber nicht mehr wissen:
Wir hatten nicht lange geredet, als der Canzler hereintrat und ſich zu uns ſetzte. Er erzaͤhlte uns Nach¬ richten aus oͤffentlichen Blaͤttern, unter andern von einem Waͤrter einer Menagerie, der aus Geluͤſte nach Loͤwenfleiſch einen Loͤwen getoͤdtet und ſich ein gutes Stuͤck davon zubereitet habe. „Mich wundert, ſagte Goethe, daß er nicht einen Affen genommen hat, wel¬ ches ein gar zarter ſchmackhafter Biſſen ſeyn ſoll.“ Wir ſprachen uͤber die Haͤßlichkeit dieſer Beſtien und daß ſie deſto unangenehmer, je aͤhnlicher die Race dem Men¬ ſchen ſey. Ich begreife nicht, ſagte der Canzler, wie fuͤrſtliche Perſonen ſolche Thiere in ihrer Naͤhe dulden, ja vielleicht gar Gefallen daran finden koͤnnen. „Fuͤrſt¬ liche Perſonen, ſagte Goethe, werden ſo viel mit wider¬ waͤrtigen Menſchen geplagt, daß ſie die widerwaͤrtigeren Thiere als ein Heilmittel gegen dergleichen unangenehme Eindruͤcke betrachten. Uns Andern ſind Affen und Ge¬ ſchrey der Papagayen mit Recht widerwaͤrtig, weil wir dieſe Thiere hier in einer Umgebung ſehen, fuͤr die ſie nicht gemacht ſind. Waͤren wir aber in dem Fall, auf Elephanten unter Palmen zu reiten, ſo wuͤrden wir in einem ſolchen Element Affen und Papagayen ganz gehoͤrig, ja vielleicht gar erfreulich finden. Aber, wie geſagt, die Fuͤrſten haben Recht, etwas Widerwaͤr¬ tiges mit etwas noch Widerwaͤrtigerem zu vertreiben.“ — Hiebey, ſagte ich, faͤllt mir ein Vers ein, den Sie vielleicht ſelber nicht mehr wiſſen:
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0387"n="367"/><p>Wir hatten nicht lange geredet, als der Canzler<lb/>
hereintrat und ſich zu uns ſetzte. Er erzaͤhlte uns Nach¬<lb/>
richten aus oͤffentlichen Blaͤttern, unter andern von<lb/>
einem Waͤrter einer Menagerie, der aus Geluͤſte nach<lb/>
Loͤwenfleiſch einen Loͤwen getoͤdtet und ſich ein gutes<lb/>
Stuͤck davon zubereitet habe. „Mich wundert, ſagte<lb/>
Goethe, daß er nicht einen Affen genommen hat, wel¬<lb/>
ches ein gar zarter ſchmackhafter Biſſen ſeyn ſoll.“ Wir<lb/>ſprachen uͤber die Haͤßlichkeit dieſer Beſtien und daß ſie<lb/>
deſto unangenehmer, je aͤhnlicher die Race dem Men¬<lb/>ſchen ſey. Ich begreife nicht, ſagte der Canzler, wie<lb/>
fuͤrſtliche Perſonen ſolche Thiere in ihrer Naͤhe dulden,<lb/>
ja vielleicht gar Gefallen daran finden koͤnnen. „Fuͤrſt¬<lb/>
liche Perſonen, ſagte Goethe, werden ſo viel mit wider¬<lb/>
waͤrtigen Menſchen geplagt, daß ſie die widerwaͤrtigeren<lb/>
Thiere als ein Heilmittel gegen dergleichen unangenehme<lb/>
Eindruͤcke betrachten. Uns Andern ſind Affen und Ge¬<lb/>ſchrey der Papagayen mit Recht widerwaͤrtig, weil wir<lb/>
dieſe Thiere hier in einer Umgebung ſehen, fuͤr die<lb/>ſie nicht gemacht ſind. Waͤren wir aber in dem Fall,<lb/>
auf Elephanten unter Palmen zu reiten, ſo wuͤrden<lb/>
wir in einem ſolchen Element Affen und Papagayen<lb/>
ganz gehoͤrig, ja vielleicht gar erfreulich finden. Aber,<lb/>
wie geſagt, die Fuͤrſten haben Recht, etwas Widerwaͤr¬<lb/>
tiges mit etwas noch Widerwaͤrtigerem zu vertreiben.“<lb/>— Hiebey, ſagte ich, faͤllt mir ein Vers ein, den Sie<lb/>
vielleicht ſelber nicht mehr wiſſen:</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[367/0387]
Wir hatten nicht lange geredet, als der Canzler
hereintrat und ſich zu uns ſetzte. Er erzaͤhlte uns Nach¬
richten aus oͤffentlichen Blaͤttern, unter andern von
einem Waͤrter einer Menagerie, der aus Geluͤſte nach
Loͤwenfleiſch einen Loͤwen getoͤdtet und ſich ein gutes
Stuͤck davon zubereitet habe. „Mich wundert, ſagte
Goethe, daß er nicht einen Affen genommen hat, wel¬
ches ein gar zarter ſchmackhafter Biſſen ſeyn ſoll.“ Wir
ſprachen uͤber die Haͤßlichkeit dieſer Beſtien und daß ſie
deſto unangenehmer, je aͤhnlicher die Race dem Men¬
ſchen ſey. Ich begreife nicht, ſagte der Canzler, wie
fuͤrſtliche Perſonen ſolche Thiere in ihrer Naͤhe dulden,
ja vielleicht gar Gefallen daran finden koͤnnen. „Fuͤrſt¬
liche Perſonen, ſagte Goethe, werden ſo viel mit wider¬
waͤrtigen Menſchen geplagt, daß ſie die widerwaͤrtigeren
Thiere als ein Heilmittel gegen dergleichen unangenehme
Eindruͤcke betrachten. Uns Andern ſind Affen und Ge¬
ſchrey der Papagayen mit Recht widerwaͤrtig, weil wir
dieſe Thiere hier in einer Umgebung ſehen, fuͤr die
ſie nicht gemacht ſind. Waͤren wir aber in dem Fall,
auf Elephanten unter Palmen zu reiten, ſo wuͤrden
wir in einem ſolchen Element Affen und Papagayen
ganz gehoͤrig, ja vielleicht gar erfreulich finden. Aber,
wie geſagt, die Fuͤrſten haben Recht, etwas Widerwaͤr¬
tiges mit etwas noch Widerwaͤrtigerem zu vertreiben.“
— Hiebey, ſagte ich, faͤllt mir ein Vers ein, den Sie
vielleicht ſelber nicht mehr wiſſen:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/387>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.