steriellen Partey zu Paris, indem er eine kräftige Rede fast wörtlich recitirte, die ein äußerst kühner Demokrat zu seiner Vertheidigung vor Gericht gegen die Minister gehalten. Wir hatten Gelegenheit, das glückliche Ge¬ dächtniß des Canzlers abermals zu bewundern. Über jene Angelegenheit und besonders das einschränkende Preß-Gesetz ward zwischen Goethe und dem Canzler viel hin und wieder gesprochen; es war ein reichhaltiges Thema, wobey sich Goethe wie immer als milder Ari¬ stokrat erwies, jener Freund aber wie bisher scheinbar auf der Seite des Volkes festhielt.
"Mir ist für die Franzosen in keiner Hinsicht bange. sagte Goethe; sie stehen auf einer solchen Höhe welt¬ historischer Ansicht, daß der Geist auf keine Weise mehr zu unterdrücken ist. Das einschränkende Gesetz wird nur wohlthätig wirken, zumal da die Einschränkungen nichts Wesentliches betreffen, sondern nur gegen Per¬ sönlichkeiten gehen. Eine Opposition, die keine Gren¬ zen hat, wird platt. Die Einschränkung aber nöthigt sie geistreich zu seyn, und dieß ist ein sehr großer Vor¬ theil. Direct und grob seine Meinung herauszusagen mag nur entschuldigt werden können und gut seyn, wenn man durchaus Recht hat. Eine Partey aber hat nicht durchaus Recht, eben weil sie Partey ist, und ihr steht daher die indirecte Weise wohl, worin die Franzosen von je große Muster waren. Zu meinem Diener sage ich gradezu: Hans, zieh mir die Stiefel
I. 24
ſteriellen Partey zu Paris, indem er eine kraͤftige Rede faſt woͤrtlich recitirte, die ein aͤußerſt kuͤhner Demokrat zu ſeiner Vertheidigung vor Gericht gegen die Miniſter gehalten. Wir hatten Gelegenheit, das gluͤckliche Ge¬ daͤchtniß des Canzlers abermals zu bewundern. Über jene Angelegenheit und beſonders das einſchraͤnkende Preß-Geſetz ward zwiſchen Goethe und dem Canzler viel hin und wieder geſprochen; es war ein reichhaltiges Thema, wobey ſich Goethe wie immer als milder Ari¬ ſtokrat erwies, jener Freund aber wie bisher ſcheinbar auf der Seite des Volkes feſthielt.
„Mir iſt fuͤr die Franzoſen in keiner Hinſicht bange. ſagte Goethe; ſie ſtehen auf einer ſolchen Hoͤhe welt¬ hiſtoriſcher Anſicht, daß der Geiſt auf keine Weiſe mehr zu unterdruͤcken iſt. Das einſchraͤnkende Geſetz wird nur wohlthaͤtig wirken, zumal da die Einſchraͤnkungen nichts Weſentliches betreffen, ſondern nur gegen Per¬ ſoͤnlichkeiten gehen. Eine Oppoſition, die keine Gren¬ zen hat, wird platt. Die Einſchraͤnkung aber noͤthigt ſie geiſtreich zu ſeyn, und dieß iſt ein ſehr großer Vor¬ theil. Direct und grob ſeine Meinung herauszuſagen mag nur entſchuldigt werden koͤnnen und gut ſeyn, wenn man durchaus Recht hat. Eine Partey aber hat nicht durchaus Recht, eben weil ſie Partey iſt, und ihr ſteht daher die indirecte Weiſe wohl, worin die Franzoſen von je große Muſter waren. Zu meinem Diener ſage ich gradezu: Hans, zieh mir die Stiefel
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ſteriellen Partey zu Paris, indem er eine kraͤftige Rede
faſt woͤrtlich recitirte, die ein aͤußerſt kuͤhner Demokrat
zu ſeiner Vertheidigung vor Gericht gegen die Miniſter
gehalten. Wir hatten Gelegenheit, das gluͤckliche Ge¬
daͤchtniß des Canzlers abermals zu bewundern. Über
jene Angelegenheit und beſonders das einſchraͤnkende
Preß-Geſetz ward zwiſchen Goethe und dem Canzler
viel hin und wieder geſprochen; es war ein reichhaltiges
Thema, wobey ſich Goethe wie immer als milder Ari¬
ſtokrat erwies, jener Freund aber wie bisher ſcheinbar
auf der Seite des Volkes feſthielt.
„Mir iſt fuͤr die Franzoſen in keiner Hinſicht bange.
ſagte Goethe; ſie ſtehen auf einer ſolchen Hoͤhe welt¬
hiſtoriſcher Anſicht, daß der Geiſt auf keine Weiſe mehr
zu unterdruͤcken iſt. Das einſchraͤnkende Geſetz wird
nur wohlthaͤtig wirken, zumal da die Einſchraͤnkungen
nichts Weſentliches betreffen, ſondern nur gegen Per¬
ſoͤnlichkeiten gehen. Eine Oppoſition, die keine Gren¬
zen hat, wird platt. Die Einſchraͤnkung aber noͤthigt
ſie geiſtreich zu ſeyn, und dieß iſt ein ſehr großer Vor¬
theil. Direct und grob ſeine Meinung herauszuſagen
mag nur entſchuldigt werden koͤnnen und gut ſeyn,
wenn man durchaus Recht hat. Eine Partey aber hat
nicht durchaus Recht, eben weil ſie Partey iſt, und
ihr ſteht daher die indirecte Weiſe wohl, worin die
Franzoſen von je große Muſter waren. Zu meinem
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/389>, abgerufen am 22.11.2024.
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