Drittheil zusammenschmelzen, so daß nur so viel übrig bleibt, als nöthig ist, um die handelnden Personen darin zu verflechten. Hätte Manzoni einen rathgebenden Freund zur Seite gehabt, er hätte diesen Fehler sehr leicht vermeiden können. Aber er hatte als Historiker zu großen Respect vor der Realität. Dieß macht ihm schon bey seinen dramatischen Werken zu schaffen, wo er sich jedoch dadurch hilft, daß er den überflüssigen geschichtlichen Stoff als Noten beygiebt. In diesem Falle aber hat er sich nicht so zu helfen gewußt und sich von dem historischen Vorrath nicht trennen können. Dieß ist sehr merkwürdig. Doch sobald die Personen des Romans wieder auftreten, steht der Poet in voller Glorie wieder da und nöthigt uns wieder zu der ge¬ wohnten Bewunderung."
Wir standen auf und lenkten unsere Schritte dem Hause zu.
"Man sollte kaum begreifen, fuhr Goethe fort, wie ein Dichter wie Manzoni, der eine so bewunderungs¬ würdige Composition zu machen versteht, nur einen Augenblick gegen die Poesie hat fehlen können. Doch die Sache ist einfach; sie ist diese."
"Manzoni ist ein geborener Poet, so wie Schil¬ ler einer war. Doch unsere Zeit ist so schlecht, daß dem Dichter im umgebenden menschlichen Leben keine brauchbare Natur mehr begegnet. Um sich nun auf¬ zuerbauen, griff Schiller zu zwey großen Dingen: zur
Drittheil zuſammenſchmelzen, ſo daß nur ſo viel uͤbrig bleibt, als noͤthig iſt, um die handelnden Perſonen darin zu verflechten. Haͤtte Manzoni einen rathgebenden Freund zur Seite gehabt, er haͤtte dieſen Fehler ſehr leicht vermeiden koͤnnen. Aber er hatte als Hiſtoriker zu großen Reſpect vor der Realitaͤt. Dieß macht ihm ſchon bey ſeinen dramatiſchen Werken zu ſchaffen, wo er ſich jedoch dadurch hilft, daß er den uͤberfluͤſſigen geſchichtlichen Stoff als Noten beygiebt. In dieſem Falle aber hat er ſich nicht ſo zu helfen gewußt und ſich von dem hiſtoriſchen Vorrath nicht trennen koͤnnen. Dieß iſt ſehr merkwuͤrdig. Doch ſobald die Perſonen des Romans wieder auftreten, ſteht der Poet in voller Glorie wieder da und noͤthigt uns wieder zu der ge¬ wohnten Bewunderung.“
Wir ſtanden auf und lenkten unſere Schritte dem Hauſe zu.
„Man ſollte kaum begreifen, fuhr Goethe fort, wie ein Dichter wie Manzoni, der eine ſo bewunderungs¬ wuͤrdige Compoſition zu machen verſteht, nur einen Augenblick gegen die Poeſie hat fehlen koͤnnen. Doch die Sache iſt einfach; ſie iſt dieſe.“
„Manzoni iſt ein geborener Poet, ſo wie Schil¬ ler einer war. Doch unſere Zeit iſt ſo ſchlecht, daß dem Dichter im umgebenden menſchlichen Leben keine brauchbare Natur mehr begegnet. Um ſich nun auf¬ zuerbauen, griff Schiller zu zwey großen Dingen: zur
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Drittheil zuſammenſchmelzen, ſo daß nur ſo viel uͤbrig
bleibt, als noͤthig iſt, um die handelnden Perſonen
darin zu verflechten. Haͤtte Manzoni einen rathgebenden
Freund zur Seite gehabt, er haͤtte dieſen Fehler ſehr
leicht vermeiden koͤnnen. Aber er hatte als Hiſtoriker
zu großen Reſpect vor der Realitaͤt. Dieß macht ihm
ſchon bey ſeinen dramatiſchen Werken zu ſchaffen, wo
er ſich jedoch dadurch hilft, daß er den uͤberfluͤſſigen
geſchichtlichen Stoff als Noten beygiebt. In dieſem
Falle aber hat er ſich nicht ſo zu helfen gewußt und
ſich von dem hiſtoriſchen Vorrath nicht trennen koͤnnen.
Dieß iſt ſehr merkwuͤrdig. Doch ſobald die Perſonen
des Romans wieder auftreten, ſteht der Poet in voller
Glorie wieder da und noͤthigt uns wieder zu der ge¬
wohnten Bewunderung.“
Wir ſtanden auf und lenkten unſere Schritte dem
Hauſe zu.
„Man ſollte kaum begreifen, fuhr Goethe fort, wie
ein Dichter wie Manzoni, der eine ſo bewunderungs¬
wuͤrdige Compoſition zu machen verſteht, nur einen
Augenblick gegen die Poeſie hat fehlen koͤnnen. Doch
die Sache iſt einfach; ſie iſt dieſe.“
„Manzoni iſt ein geborener Poet, ſo wie Schil¬
ler einer war. Doch unſere Zeit iſt ſo ſchlecht, daß
dem Dichter im umgebenden menſchlichen Leben keine
brauchbare Natur mehr begegnet. Um ſich nun auf¬
zuerbauen, griff Schiller zu zwey großen Dingen: zur
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/400>, abgerufen am 22.11.2024.
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