Prüfung zu bestehen. Er examinirte mich mit aller möglichen Milde, allein da ich für die hergebrachten Schulfragen kein präparirter Kopf war und es mir trotz allem Fleiß an eigentlicher Routine fehlte, so be¬ stand ich nicht so gut als ich im Grunde hätte sollen. Doch auf die Versicherung meines Lehrers, daß ich mehr wisse als es nach dieser Prüfung den Anschein haben möge, und in Erwägung meines ungewöhnlichen Stre¬ bens, setzte er mich nach Secunda.
Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß ich, als ein fast Fünfundzwanzigjähriger und als einer der bereits in königlichen Diensten stand, unter diesen größtentheils noch sehr knabenhaften Jünglingen eine wunderliche Figur machte, so daß diese neue Situation mir anfänglich selber ein wenig unbequem und seltsam vorkommen wollte; doch mein großer Durst nach den Wissenschaften ließ mich alles übersehen und ertragen. Auch hatte ich mich im Ganzen nicht zu beschweren. Die Lehrer achteten mich, die älteren und besseren Schüler der Klasse kamen mir auf das freundlichste entgegen und selbst einige Ausbunde von Übermuth hat¬ ten Rücksicht genug, an mir ihre frevelhaften Anwand¬ lungen nicht auszulassen.
Ich war daher wegen meiner erreichten Wünsche im Ganzen genommen sehr glücklich und schritt auf dieser neuen Bahn mit großem Eifer vorwärts. Des Mor¬ gens fünf Uhr war ich wach und bald darauf an
Pruͤfung zu beſtehen. Er examinirte mich mit aller moͤglichen Milde, allein da ich fuͤr die hergebrachten Schulfragen kein praͤparirter Kopf war und es mir trotz allem Fleiß an eigentlicher Routine fehlte, ſo be¬ ſtand ich nicht ſo gut als ich im Grunde haͤtte ſollen. Doch auf die Verſicherung meines Lehrers, daß ich mehr wiſſe als es nach dieſer Pruͤfung den Anſchein haben moͤge, und in Erwaͤgung meines ungewoͤhnlichen Stre¬ bens, ſetzte er mich nach Secunda.
Ich brauche wohl kaum zu ſagen, daß ich, als ein faſt Fuͤnfundzwanzigjaͤhriger und als einer der bereits in koͤniglichen Dienſten ſtand, unter dieſen groͤßtentheils noch ſehr knabenhaften Juͤnglingen eine wunderliche Figur machte, ſo daß dieſe neue Situation mir anfaͤnglich ſelber ein wenig unbequem und ſeltſam vorkommen wollte; doch mein großer Durſt nach den Wiſſenſchaften ließ mich alles uͤberſehen und ertragen. Auch hatte ich mich im Ganzen nicht zu beſchweren. Die Lehrer achteten mich, die aͤlteren und beſſeren Schuͤler der Klaſſe kamen mir auf das freundlichſte entgegen und ſelbſt einige Ausbunde von Übermuth hat¬ ten Ruͤckſicht genug, an mir ihre frevelhaften Anwand¬ lungen nicht auszulaſſen.
Ich war daher wegen meiner erreichten Wuͤnſche im Ganzen genommen ſehr gluͤcklich und ſchritt auf dieſer neuen Bahn mit großem Eifer vorwaͤrts. Des Mor¬ gens fuͤnf Uhr war ich wach und bald darauf an
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Pruͤfung zu beſtehen. Er examinirte mich mit aller
moͤglichen Milde, allein da ich fuͤr die hergebrachten
Schulfragen kein praͤparirter Kopf war und es mir
trotz allem Fleiß an eigentlicher Routine fehlte, ſo be¬
ſtand ich nicht ſo gut als ich im Grunde haͤtte ſollen.
Doch auf die Verſicherung meines Lehrers, daß ich mehr
wiſſe als es nach dieſer Pruͤfung den Anſchein haben
moͤge, und in Erwaͤgung meines ungewoͤhnlichen Stre¬
bens, ſetzte er mich nach Secunda.
Ich brauche wohl kaum zu ſagen, daß ich, als
ein faſt Fuͤnfundzwanzigjaͤhriger und als einer der
bereits in koͤniglichen Dienſten ſtand, unter dieſen
groͤßtentheils noch ſehr knabenhaften Juͤnglingen eine
wunderliche Figur machte, ſo daß dieſe neue Situation
mir anfaͤnglich ſelber ein wenig unbequem und ſeltſam
vorkommen wollte; doch mein großer Durſt nach den
Wiſſenſchaften ließ mich alles uͤberſehen und ertragen.
Auch hatte ich mich im Ganzen nicht zu beſchweren.
Die Lehrer achteten mich, die aͤlteren und beſſeren
Schuͤler der Klaſſe kamen mir auf das freundlichſte
entgegen und ſelbſt einige Ausbunde von Übermuth hat¬
ten Ruͤckſicht genug, an mir ihre frevelhaften Anwand¬
lungen nicht auszulaſſen.
Ich war daher wegen meiner erreichten Wuͤnſche im
Ganzen genommen ſehr gluͤcklich und ſchritt auf dieſer
neuen Bahn mit großem Eifer vorwaͤrts. Des Mor¬
gens fuͤnf Uhr war ich wach und bald darauf an
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/43>, abgerufen am 03.12.2024.
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