Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

bücher, in die Zeitschriften; aber fügen Sie sich nie frem¬
den Anforderungen, sondern machen Sie es immer nach
Ihrem eigenen Sinn."

"Die Welt ist so groß und reich und das Leben so
mannigfaltig, daß es an Anlässen zu Gedichten nie feh¬
len wird. Aber es müssen alles Gelegenheitsgedichte
seyn, das heißt, die Wirklichkeit muß die Veranlassung
und den Stoff dazu hergeben. Allgemein und poetisch
wird ein specieller Fall eben dadurch, daß ihn der
Dichter behandelt. Alle meine Gedichte sind Gelegen¬
heitsgedichte, sie sind durch die Wirklichkeit angeregt und
haben darin Grund und Boden. Von Gedichten, aus
der Luft gegriffen, halte ich nichts."

"Man sage nicht, daß es der Wirklichkeit an poeti¬
schem Interesse fehle; denn eben darin bewährt sich ja
der Dichter, daß er geistreich genug sey, einem gewöhn¬
lichen Gegenstande eine interessante Seite abzugewinnen.
Die Wirklichkeit soll die Motive hergeben, die auszu¬
sprechenden Puncte, den eigentlichen Kern; aber ein
schönes belebtes Ganzes daraus zu bilden ist Sache des
Dichters. Sie kennen den Fürnstein, den soge¬
nannten Naturdichter, er hat ein Gedicht gemacht über
den Hopfenbau, es läßt sich nicht artiger machen. Jetzt
habe ich ihm Handwerkslieder aufgegeben, besonders
ein Weberlied, und ich bin gewiß, daß es ihm gelingen
wird; denn er hat von Jugend auf unter solchen Leuten
gelebt, er kennt den Gegenstand durch und durch, er wird

buͤcher, in die Zeitſchriften; aber fuͤgen Sie ſich nie frem¬
den Anforderungen, ſondern machen Sie es immer nach
Ihrem eigenen Sinn.“

„Die Welt iſt ſo groß und reich und das Leben ſo
mannigfaltig, daß es an Anlaͤſſen zu Gedichten nie feh¬
len wird. Aber es muͤſſen alles Gelegenheitsgedichte
ſeyn, das heißt, die Wirklichkeit muß die Veranlaſſung
und den Stoff dazu hergeben. Allgemein und poetiſch
wird ein ſpecieller Fall eben dadurch, daß ihn der
Dichter behandelt. Alle meine Gedichte ſind Gelegen¬
heitsgedichte, ſie ſind durch die Wirklichkeit angeregt und
haben darin Grund und Boden. Von Gedichten, aus
der Luft gegriffen, halte ich nichts.“

„Man ſage nicht, daß es der Wirklichkeit an poeti¬
ſchem Intereſſe fehle; denn eben darin bewaͤhrt ſich ja
der Dichter, daß er geiſtreich genug ſey, einem gewoͤhn¬
lichen Gegenſtande eine intereſſante Seite abzugewinnen.
Die Wirklichkeit ſoll die Motive hergeben, die auszu¬
ſprechenden Puncte, den eigentlichen Kern; aber ein
ſchoͤnes belebtes Ganzes daraus zu bilden iſt Sache des
Dichters. Sie kennen den Fuͤrnſtein, den ſoge¬
nannten Naturdichter, er hat ein Gedicht gemacht uͤber
den Hopfenbau, es laͤßt ſich nicht artiger machen. Jetzt
habe ich ihm Handwerkslieder aufgegeben, beſonders
ein Weberlied, und ich bin gewiß, daß es ihm gelingen
wird; denn er hat von Jugend auf unter ſolchen Leuten
gelebt, er kennt den Gegenſtand durch und durch, er wird

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0074" n="54"/>
bu&#x0364;cher, in die Zeit&#x017F;chriften; aber fu&#x0364;gen Sie &#x017F;ich nie frem¬<lb/>
den Anforderungen, &#x017F;ondern machen Sie es immer nach<lb/>
Ihrem eigenen Sinn.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die Welt i&#x017F;t &#x017F;o groß und reich und das Leben &#x017F;o<lb/>
mannigfaltig, daß es an Anla&#x0364;&#x017F;&#x017F;en zu Gedichten nie feh¬<lb/>
len wird. Aber es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en alles Gelegenheitsgedichte<lb/>
&#x017F;eyn, das heißt, die Wirklichkeit muß die Veranla&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
und den Stoff dazu hergeben. Allgemein und poeti&#x017F;ch<lb/>
wird ein &#x017F;pecieller Fall eben dadurch, daß ihn der<lb/><hi rendition="#g">Dichter</hi> behandelt. Alle meine Gedichte &#x017F;ind Gelegen¬<lb/>
heitsgedichte, &#x017F;ie &#x017F;ind durch die Wirklichkeit angeregt und<lb/>
haben darin Grund und Boden. Von Gedichten, aus<lb/>
der Luft gegriffen, halte ich nichts.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Man &#x017F;age nicht, daß es der Wirklichkeit an poeti¬<lb/>
&#x017F;chem Intere&#x017F;&#x017F;e fehle; denn eben darin bewa&#x0364;hrt &#x017F;ich ja<lb/>
der Dichter, daß er gei&#x017F;treich genug &#x017F;ey, einem gewo&#x0364;hn¬<lb/>
lichen Gegen&#x017F;tande eine intere&#x017F;&#x017F;ante Seite abzugewinnen.<lb/>
Die Wirklichkeit &#x017F;oll die Motive hergeben, die auszu¬<lb/>
&#x017F;prechenden Puncte, den eigentlichen Kern; aber ein<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nes belebtes Ganzes daraus zu bilden i&#x017F;t Sache des<lb/>
Dichters. Sie kennen den <hi rendition="#g">Fu&#x0364;rn&#x017F;tein</hi>, den &#x017F;oge¬<lb/>
nannten Naturdichter, er hat ein Gedicht gemacht u&#x0364;ber<lb/>
den Hopfenbau, es la&#x0364;ßt &#x017F;ich nicht artiger machen. Jetzt<lb/>
habe ich ihm Handwerkslieder aufgegeben, be&#x017F;onders<lb/>
ein Weberlied, und ich bin gewiß, daß es ihm gelingen<lb/>
wird; denn er hat von Jugend auf unter &#x017F;olchen Leuten<lb/>
gelebt, er kennt den Gegen&#x017F;tand durch und durch, er wird<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0074] buͤcher, in die Zeitſchriften; aber fuͤgen Sie ſich nie frem¬ den Anforderungen, ſondern machen Sie es immer nach Ihrem eigenen Sinn.“ „Die Welt iſt ſo groß und reich und das Leben ſo mannigfaltig, daß es an Anlaͤſſen zu Gedichten nie feh¬ len wird. Aber es muͤſſen alles Gelegenheitsgedichte ſeyn, das heißt, die Wirklichkeit muß die Veranlaſſung und den Stoff dazu hergeben. Allgemein und poetiſch wird ein ſpecieller Fall eben dadurch, daß ihn der Dichter behandelt. Alle meine Gedichte ſind Gelegen¬ heitsgedichte, ſie ſind durch die Wirklichkeit angeregt und haben darin Grund und Boden. Von Gedichten, aus der Luft gegriffen, halte ich nichts.“ „Man ſage nicht, daß es der Wirklichkeit an poeti¬ ſchem Intereſſe fehle; denn eben darin bewaͤhrt ſich ja der Dichter, daß er geiſtreich genug ſey, einem gewoͤhn¬ lichen Gegenſtande eine intereſſante Seite abzugewinnen. Die Wirklichkeit ſoll die Motive hergeben, die auszu¬ ſprechenden Puncte, den eigentlichen Kern; aber ein ſchoͤnes belebtes Ganzes daraus zu bilden iſt Sache des Dichters. Sie kennen den Fuͤrnſtein, den ſoge¬ nannten Naturdichter, er hat ein Gedicht gemacht uͤber den Hopfenbau, es laͤßt ſich nicht artiger machen. Jetzt habe ich ihm Handwerkslieder aufgegeben, beſonders ein Weberlied, und ich bin gewiß, daß es ihm gelingen wird; denn er hat von Jugend auf unter ſolchen Leuten gelebt, er kennt den Gegenſtand durch und durch, er wird

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/74
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/74>, abgerufen am 17.05.2024.