Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.und die ist in der Jugend selten reif. Ferner: Charac¬ "Bey einem gegebenen Stoff hingegen ist alles "Aber lassen Sie vor der Hand alles Große zur Wir waren bey diesem Gespräch in seiner Stube auf und die iſt in der Jugend ſelten reif. Ferner: Charac¬ „Bey einem gegebenen Stoff hingegen iſt alles „Aber laſſen Sie vor der Hand alles Große zur Wir waren bey dieſem Geſpraͤch in ſeiner Stube auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0076" n="56"/> und die iſt in der Jugend ſelten reif. Ferner: Charac¬<lb/> tere und Anſichten loͤſen ſich als Seiten des Dichters<lb/> von ihm ab und berauben ihn fuͤr fernere Productionen<lb/> der Fuͤlle. Und endlich: welche Zeit geht nicht an der<lb/> Erfindung und inneren Anordnung und Verknuͤpfung<lb/> verloren, worauf uns niemand etwas zu gute thut, vor¬<lb/> ausgeſetzt daß wir uͤberall mit unſerer Arbeit zu Stande<lb/> kommen.“</p><lb/> <p>„Bey einem <hi rendition="#g">gegebenen</hi> Stoff hingegen iſt alles<lb/> anders und leichter. Da werden Facta und Charactere<lb/> uͤberliefert und der Dichter hat nur die Belebung des<lb/> Ganzen. Auch bewahrt er dabey ſeine eigene Fuͤlle,<lb/> denn er braucht nur wenig von dem Seinigen hinzuzu¬<lb/> thun; auch iſt der Verluſt von Zeit und Kraͤften bey<lb/> weitem geringer, denn er hat nur die Muͤhe der Aus¬<lb/> fuͤhrung. Ja ich rathe ſogar zu ſchon bearbeiteten Ge¬<lb/> genſtaͤnden. Wie oft iſt nicht die Iphigenie gemacht,<lb/> und doch ſind alle verſchieden; denn jeder ſieht und ſtellt<lb/> die Sachen anders, eben nach ſeiner Weiſe.“</p><lb/> <p>„Aber laſſen Sie vor der Hand alles Große zur<lb/> Seite. Sie haben lange genug geſtrebt, es iſt Zeit, daß<lb/> Sie zur Heiterkeit des Lebens gelangen, und dazu eben<lb/> iſt die Bearbeitung kleiner Gegenſtaͤnde das beſte Mittel.“</p><lb/> <p>Wir waren bey dieſem Geſpraͤch in ſeiner Stube auf<lb/> und ab gegangen; ich konnte immer nur zuſtimmen, denn<lb/> ich fuͤhlte die Wahrheit eines jeden Wortes in meinem<lb/> ganzen Weſen. Bey jedem Schritt ward es mir leich¬<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0076]
und die iſt in der Jugend ſelten reif. Ferner: Charac¬
tere und Anſichten loͤſen ſich als Seiten des Dichters
von ihm ab und berauben ihn fuͤr fernere Productionen
der Fuͤlle. Und endlich: welche Zeit geht nicht an der
Erfindung und inneren Anordnung und Verknuͤpfung
verloren, worauf uns niemand etwas zu gute thut, vor¬
ausgeſetzt daß wir uͤberall mit unſerer Arbeit zu Stande
kommen.“
„Bey einem gegebenen Stoff hingegen iſt alles
anders und leichter. Da werden Facta und Charactere
uͤberliefert und der Dichter hat nur die Belebung des
Ganzen. Auch bewahrt er dabey ſeine eigene Fuͤlle,
denn er braucht nur wenig von dem Seinigen hinzuzu¬
thun; auch iſt der Verluſt von Zeit und Kraͤften bey
weitem geringer, denn er hat nur die Muͤhe der Aus¬
fuͤhrung. Ja ich rathe ſogar zu ſchon bearbeiteten Ge¬
genſtaͤnden. Wie oft iſt nicht die Iphigenie gemacht,
und doch ſind alle verſchieden; denn jeder ſieht und ſtellt
die Sachen anders, eben nach ſeiner Weiſe.“
„Aber laſſen Sie vor der Hand alles Große zur
Seite. Sie haben lange genug geſtrebt, es iſt Zeit, daß
Sie zur Heiterkeit des Lebens gelangen, und dazu eben
iſt die Bearbeitung kleiner Gegenſtaͤnde das beſte Mittel.“
Wir waren bey dieſem Geſpraͤch in ſeiner Stube auf
und ab gegangen; ich konnte immer nur zuſtimmen, denn
ich fuͤhlte die Wahrheit eines jeden Wortes in meinem
ganzen Weſen. Bey jedem Schritt ward es mir leich¬
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