Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

"Indessen, fuhr er fort, wäre es wohl besser, Sie
sparten sich den ferneren Genuß des trefflichen Claude
zum Nachtisch, denn die Bilder sind wirklich zu gut
um viele davon hinter einander zu sehen." Ich fühle
so, sagte ich, denn mich wandelt jedesmal eine gewisse
Furcht an, wenn ich das folgende Blatt umwenden will.
Es ist eine Furcht eigener Art, die ich vor diesem Schö¬
nen empfinde, so wie es uns wohl mit einem trefflichen
Buche geht, wo gehäufte kostbare Stellen uns nöthigen
inne zu halten, und wir nur mit einem gewissen Zau¬
dern weiter gehen.

"Ich habe dem König von Bayern geantwortet,
versetzte Goethe nach einer Pause, und Sie sollen den
Brief lesen." Das wird sehr lehrreich für mich seyn,
sagte ich, und ich freue mich dazu. "Indeß, sagte
Goethe, steht hier in der allgemeinen Zeitung ein Ge¬
dicht an den König, das der Canzler mir gestern vor¬
las und das Sie doch auch sehen müssen." Goethe gab
mir das Blatt und ich las das Gedicht im Stillen.
"Nun, was sagen Sie dazu?" sagte Goethe. Es sind
die Empfindungen eines Dilettanten, sagte ich, der mehr
guten Willen als Talent hat und dem die Höhe der
Literatur eine gemachte Sprache überliefert, die für ihn
tönet und reimet, während er selber zu reden glaubt.
"Sie haben vollkommen recht, sagte Goethe, ich halte
das Gedicht auch für ein sehr schwaches Product; es

„Indeſſen, fuhr er fort, waͤre es wohl beſſer, Sie
ſparten ſich den ferneren Genuß des trefflichen Claude
zum Nachtiſch, denn die Bilder ſind wirklich zu gut
um viele davon hinter einander zu ſehen.“ Ich fuͤhle
ſo, ſagte ich, denn mich wandelt jedesmal eine gewiſſe
Furcht an, wenn ich das folgende Blatt umwenden will.
Es iſt eine Furcht eigener Art, die ich vor dieſem Schoͤ¬
nen empfinde, ſo wie es uns wohl mit einem trefflichen
Buche geht, wo gehaͤufte koſtbare Stellen uns noͤthigen
inne zu halten, und wir nur mit einem gewiſſen Zau¬
dern weiter gehen.

„Ich habe dem Koͤnig von Bayern geantwortet,
verſetzte Goethe nach einer Pauſe, und Sie ſollen den
Brief leſen.“ Das wird ſehr lehrreich fuͤr mich ſeyn,
ſagte ich, und ich freue mich dazu. „Indeß, ſagte
Goethe, ſteht hier in der allgemeinen Zeitung ein Ge¬
dicht an den Koͤnig, das der Canzler mir geſtern vor¬
las und das Sie doch auch ſehen muͤſſen.“ Goethe gab
mir das Blatt und ich las das Gedicht im Stillen.
„Nun, was ſagen Sie dazu?“ ſagte Goethe. Es ſind
die Empfindungen eines Dilettanten, ſagte ich, der mehr
guten Willen als Talent hat und dem die Hoͤhe der
Literatur eine gemachte Sprache uͤberliefert, die fuͤr ihn
toͤnet und reimet, waͤhrend er ſelber zu reden glaubt.
„Sie haben vollkommen recht, ſagte Goethe, ich halte
das Gedicht auch fuͤr ein ſehr ſchwaches Product; es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <pb facs="#f0137" n="127"/>
          <p>&#x201E;Inde&#x017F;&#x017F;en, fuhr er fort, wa&#x0364;re es wohl be&#x017F;&#x017F;er, Sie<lb/>
&#x017F;parten &#x017F;ich den ferneren Genuß des trefflichen Claude<lb/>
zum Nachti&#x017F;ch, denn die Bilder &#x017F;ind wirklich zu gut<lb/>
um viele davon hinter einander zu &#x017F;ehen.&#x201C; Ich fu&#x0364;hle<lb/>
&#x017F;o, &#x017F;agte ich, denn mich wandelt jedesmal eine gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Furcht an, wenn ich das folgende Blatt umwenden will.<lb/>
Es i&#x017F;t eine Furcht eigener Art, die ich vor die&#x017F;em Scho&#x0364;¬<lb/>
nen empfinde, &#x017F;o wie es uns wohl mit einem trefflichen<lb/>
Buche geht, wo geha&#x0364;ufte ko&#x017F;tbare Stellen uns no&#x0364;thigen<lb/>
inne zu halten, und wir nur mit einem gewi&#x017F;&#x017F;en Zau¬<lb/>
dern weiter gehen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich habe dem <hi rendition="#g">Ko&#x0364;nig von Bayern</hi> geantwortet,<lb/>
ver&#x017F;etzte Goethe nach einer Pau&#x017F;e, und Sie &#x017F;ollen den<lb/>
Brief le&#x017F;en.&#x201C; Das wird &#x017F;ehr lehrreich fu&#x0364;r mich &#x017F;eyn,<lb/>
&#x017F;agte ich, und ich freue mich dazu. &#x201E;Indeß, &#x017F;agte<lb/>
Goethe, &#x017F;teht hier in der allgemeinen Zeitung ein Ge¬<lb/>
dicht an den Ko&#x0364;nig, das der Canzler mir ge&#x017F;tern vor¬<lb/>
las und das Sie doch auch &#x017F;ehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.&#x201C; Goethe gab<lb/>
mir das Blatt und ich las das Gedicht im Stillen.<lb/>
&#x201E;Nun, was &#x017F;agen Sie dazu?&#x201C; &#x017F;agte Goethe. Es &#x017F;ind<lb/>
die Empfindungen eines Dilettanten, &#x017F;agte ich, der mehr<lb/>
guten Willen als Talent hat und dem die Ho&#x0364;he der<lb/>
Literatur eine gemachte Sprache u&#x0364;berliefert, die fu&#x0364;r ihn<lb/>
to&#x0364;net und reimet, wa&#x0364;hrend er &#x017F;elber zu reden glaubt.<lb/>
&#x201E;Sie haben vollkommen recht, &#x017F;agte Goethe, ich halte<lb/>
das Gedicht auch fu&#x0364;r ein &#x017F;ehr &#x017F;chwaches Product; es<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0137] „Indeſſen, fuhr er fort, waͤre es wohl beſſer, Sie ſparten ſich den ferneren Genuß des trefflichen Claude zum Nachtiſch, denn die Bilder ſind wirklich zu gut um viele davon hinter einander zu ſehen.“ Ich fuͤhle ſo, ſagte ich, denn mich wandelt jedesmal eine gewiſſe Furcht an, wenn ich das folgende Blatt umwenden will. Es iſt eine Furcht eigener Art, die ich vor dieſem Schoͤ¬ nen empfinde, ſo wie es uns wohl mit einem trefflichen Buche geht, wo gehaͤufte koſtbare Stellen uns noͤthigen inne zu halten, und wir nur mit einem gewiſſen Zau¬ dern weiter gehen. „Ich habe dem Koͤnig von Bayern geantwortet, verſetzte Goethe nach einer Pauſe, und Sie ſollen den Brief leſen.“ Das wird ſehr lehrreich fuͤr mich ſeyn, ſagte ich, und ich freue mich dazu. „Indeß, ſagte Goethe, ſteht hier in der allgemeinen Zeitung ein Ge¬ dicht an den Koͤnig, das der Canzler mir geſtern vor¬ las und das Sie doch auch ſehen muͤſſen.“ Goethe gab mir das Blatt und ich las das Gedicht im Stillen. „Nun, was ſagen Sie dazu?“ ſagte Goethe. Es ſind die Empfindungen eines Dilettanten, ſagte ich, der mehr guten Willen als Talent hat und dem die Hoͤhe der Literatur eine gemachte Sprache uͤberliefert, die fuͤr ihn toͤnet und reimet, waͤhrend er ſelber zu reden glaubt. „Sie haben vollkommen recht, ſagte Goethe, ich halte das Gedicht auch fuͤr ein ſehr ſchwaches Product; es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/137
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/137>, abgerufen am 21.11.2024.