besser stand als der Schiffer, dem sich die Bajoc's bey jeder Überfahrt vermehrten. Er hatte einen zwölfjähri¬ gen Knaben bey sich, der ihm half, und dem die Sache endlich gar zu wunderlich erscheinen mochte. "Vater, sagte er, was haben denn die Männer, daß sie nicht ans Land wollen, und daß wir immer wieder zurück müssen wenn wir sie ans Ufer gebracht?" ""Ich weiß nicht mein Sohn, antwortete der Schiffer, aber ich glaube sie sind toll."" Endlich, um nicht die ganze Nacht hin und her zu fahren, vereinigte man sich noth¬ dürftig und wir gingen zu Lande."
Wir freuten uns und lachten über diese anmuthige Anecdote von künstlerischer Verrücktheit. Hofrath Meyer war in der besten Laune, er fuhr fort uns von Rom zu erzählen, und Goethe und ich hatten Genuß ihn zu hören.
"Der Streit über Raphael und Michel Angelo, sagte Meyer, war an der Ordnung und wurde täglich geführt, wo genugsame Künstler zusammentrafen, so daß von beyden Parteyen sich einige anwesend fanden. In einer Osterie, wo man sehr billigen und guten Wein trank, pflegte er sich zu entspinnen; man berief sich auf Gemälde, auf einzelne Theile derselben, und wenn die Gegenpartey widerstritt und dieß und jenes nicht zuge¬ ben wollte, entstand das Bedürfniß der unmittelbaren Anschauung der Bilder. Streitend verließ man die Osteri und ging raschen Schrittes zur Sixtinischen Ca¬
beſſer ſtand als der Schiffer, dem ſich die Bajoc's bey jeder Überfahrt vermehrten. Er hatte einen zwoͤlfjaͤhri¬ gen Knaben bey ſich, der ihm half, und dem die Sache endlich gar zu wunderlich erſcheinen mochte. „Vater, ſagte er, was haben denn die Maͤnner, daß ſie nicht ans Land wollen, und daß wir immer wieder zuruͤck muͤſſen wenn wir ſie ans Ufer gebracht?“ „„Ich weiß nicht mein Sohn, antwortete der Schiffer, aber ich glaube ſie ſind toll.““ Endlich, um nicht die ganze Nacht hin und her zu fahren, vereinigte man ſich noth¬ duͤrftig und wir gingen zu Lande.“
Wir freuten uns und lachten uͤber dieſe anmuthige Anecdote von kuͤnſtleriſcher Verruͤcktheit. Hofrath Meyer war in der beſten Laune, er fuhr fort uns von Rom zu erzaͤhlen, und Goethe und ich hatten Genuß ihn zu hoͤren.
„Der Streit uͤber Raphael und Michel Angelo, ſagte Meyer, war an der Ordnung und wurde taͤglich gefuͤhrt, wo genugſame Kuͤnſtler zuſammentrafen, ſo daß von beyden Parteyen ſich einige anweſend fanden. In einer Oſterie, wo man ſehr billigen und guten Wein trank, pflegte er ſich zu entſpinnen; man berief ſich auf Gemaͤlde, auf einzelne Theile derſelben, und wenn die Gegenpartey widerſtritt und dieß und jenes nicht zuge¬ ben wollte, entſtand das Beduͤrfniß der unmittelbaren Anſchauung der Bilder. Streitend verließ man die Oſteri und ging raſchen Schrittes zur Sixtiniſchen Ca¬
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beſſer ſtand als der Schiffer, dem ſich die Bajoc's bey
jeder Überfahrt vermehrten. Er hatte einen zwoͤlfjaͤhri¬
gen Knaben bey ſich, der ihm half, und dem die Sache
endlich gar zu wunderlich erſcheinen mochte. „Vater,
ſagte er, was haben denn die Maͤnner, daß ſie nicht
ans Land wollen, und daß wir immer wieder zuruͤck
muͤſſen wenn wir ſie ans Ufer gebracht?“ „„Ich weiß
nicht mein Sohn, antwortete der Schiffer, aber ich
glaube ſie ſind toll.““ Endlich, um nicht die ganze
Nacht hin und her zu fahren, vereinigte man ſich noth¬
duͤrftig und wir gingen zu Lande.“
Wir freuten uns und lachten uͤber dieſe anmuthige
Anecdote von kuͤnſtleriſcher Verruͤcktheit. Hofrath Meyer
war in der beſten Laune, er fuhr fort uns von Rom
zu erzaͤhlen, und Goethe und ich hatten Genuß ihn zu
hoͤren.
„Der Streit uͤber Raphael und Michel Angelo,
ſagte Meyer, war an der Ordnung und wurde taͤglich
gefuͤhrt, wo genugſame Kuͤnſtler zuſammentrafen, ſo daß
von beyden Parteyen ſich einige anweſend fanden. In
einer Oſterie, wo man ſehr billigen und guten Wein
trank, pflegte er ſich zu entſpinnen; man berief ſich auf
Gemaͤlde, auf einzelne Theile derſelben, und wenn die
Gegenpartey widerſtritt und dieß und jenes nicht zuge¬
ben wollte, entſtand das Beduͤrfniß der unmittelbaren
Anſchauung der Bilder. Streitend verließ man die
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/156>, abgerufen am 27.11.2024.
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