tische und philosophische Gedanken leben und regen sich in ihm, mit der Luft seiner Umgebung hat er sie einge¬ sogen, aber er denkt sie wären sein Eigenthum, und so spricht er sie als das Seinige aus. Nachdem er aber der Zeit wiedergegeben hat was er von ihr empfangen, ist er arm. Er gleicht einer Quelle, die von zugetragenem Wasser eine Weile gesprudelt hat, und die aufhört zu rieseln, sobald der erborgte Vorrath erschöpft ist."
Dienstag, den 1. September 1829.
Ich erzählte Goethe von einem Durchreisenden, der bey Hegeln ein Collegium über den Beweis des Da¬ seyns Gottes gehört. Goethe stimmte mir bey, daß dergleichen Vorlesungen nicht mehr an der Zeit seyen.
"Die Periode des Zweifels, sagte er, ist vorüber; es zweifelt jetzt so wenig jemand an sich selber als an Gott. Zudem sind die Natur Gottes, die Un¬ sterblichkeit, das Wesen unserer Seele und ihr Zu¬ sammenhang mit dem Körper, ewige Probleme, worin uns die Philosophen nicht weiter bringen. Ein franzö¬ sischer Philosoph der neuesten Tage fängt sein Capitel ganz getrost folgendermaßen an: "Es ist bekannt, daß der Mensch aus zwey Theilen besteht, aus Leib und Seele. Wir wollen demnach mit dem Leibe anfangen
tiſche und philoſophiſche Gedanken leben und regen ſich in ihm, mit der Luft ſeiner Umgebung hat er ſie einge¬ ſogen, aber er denkt ſie waͤren ſein Eigenthum, und ſo ſpricht er ſie als das Seinige aus. Nachdem er aber der Zeit wiedergegeben hat was er von ihr empfangen, iſt er arm. Er gleicht einer Quelle, die von zugetragenem Waſſer eine Weile geſprudelt hat, und die aufhoͤrt zu rieſeln, ſobald der erborgte Vorrath erſchoͤpft iſt.“
Dienſtag, den 1. September 1829.
Ich erzaͤhlte Goethe von einem Durchreiſenden, der bey Hegeln ein Collegium uͤber den Beweis des Da¬ ſeyns Gottes gehoͤrt. Goethe ſtimmte mir bey, daß dergleichen Vorleſungen nicht mehr an der Zeit ſeyen.
„Die Periode des Zweifels, ſagte er, iſt voruͤber; es zweifelt jetzt ſo wenig jemand an ſich ſelber als an Gott. Zudem ſind die Natur Gottes, die Un¬ ſterblichkeit, das Weſen unſerer Seele und ihr Zu¬ ſammenhang mit dem Koͤrper, ewige Probleme, worin uns die Philoſophen nicht weiter bringen. Ein franzoͤ¬ ſiſcher Philoſoph der neueſten Tage faͤngt ſein Capitel ganz getroſt folgendermaßen an: „Es iſt bekannt, daß der Menſch aus zwey Theilen beſteht, aus Leib und Seele. Wir wollen demnach mit dem Leibe anfangen
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tiſche und philoſophiſche Gedanken leben und regen ſich
in ihm, mit der Luft ſeiner Umgebung hat er ſie einge¬
ſogen, aber er denkt ſie waͤren ſein Eigenthum, und ſo
ſpricht er ſie als das Seinige aus. Nachdem er aber der
Zeit wiedergegeben hat was er von ihr empfangen, iſt
er arm. Er gleicht einer Quelle, die von zugetragenem
Waſſer eine Weile geſprudelt hat, und die aufhoͤrt zu
rieſeln, ſobald der erborgte Vorrath erſchoͤpft iſt.“
Dienſtag, den 1. September 1829.
Ich erzaͤhlte Goethe von einem Durchreiſenden, der
bey Hegeln ein Collegium uͤber den Beweis des Da¬
ſeyns Gottes gehoͤrt. Goethe ſtimmte mir bey, daß
dergleichen Vorleſungen nicht mehr an der Zeit ſeyen.
„Die Periode des Zweifels, ſagte er, iſt voruͤber;
es zweifelt jetzt ſo wenig jemand an ſich ſelber als
an Gott. Zudem ſind die Natur Gottes, die Un¬
ſterblichkeit, das Weſen unſerer Seele und ihr Zu¬
ſammenhang mit dem Koͤrper, ewige Probleme, worin
uns die Philoſophen nicht weiter bringen. Ein franzoͤ¬
ſiſcher Philoſoph der neueſten Tage faͤngt ſein Capitel
ganz getroſt folgendermaßen an: „Es iſt bekannt, daß
der Menſch aus zwey Theilen beſteht, aus Leib und
Seele. Wir wollen demnach mit dem Leibe anfangen
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/158>, abgerufen am 23.11.2024.
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