erzählt werden. Seine graue Kleidung, wo Seide, Sammt und Wolle gegen einander eine abstechende Schattirung gemacht, und wie er darauf studirt habe, immer noch ein neues Grau auf seinen Körper zu brin¬ gen. Dann wie er die Gedichte geschrieben, den Setzer nachgeäfft und den Anstand und die Würde des Schrei¬ benden hervorgehoben. Auch wie es sein Lieblings- Zeitvertreib gewesen, im Fenster zu liegen, die Vorbey¬ gehenden zu mustern und ihren Anzug in Gedanken so zu verändern, daß es höchst lächerlich gewesen seyn würde, wenn die Leute sich so gekleidet hätten. "Und dann sein gewöhnlicher Spaß mit dem Postboten, sagte Goethe, wie gefällt Ihnen der, ist der nicht auch lustig?" Der ist mir unbekannt, sagte ich, es steht davon nichts in Ihrem Leben. "Wunderlich! sagte Goethe, so will ich es Ihnen denn erzählen."
"Wenn wir zusammen im Fenster lagen, Beh¬ risch in der Straße den Briefträger kommen sah, wie er von einem Hause ins andere ging, nahm er gewöhn¬ lich einen Groschen aus der Tasche und legte ihn bey sich ins Fenster. Siehst Du den Briefträger? sagte er dann zu mir gewendet, er kommt immer näher und wird gleich hier oben seyn, das sehe ich ihm an. Er hat einen Brief an Dich, und was für einen Brief, keinen gewöhn¬ lichen Brief, er hat einen Brief mit einem Wechsel, -- mit einem Wechsel! ich will nicht sagen wie stark. -- Siehst Du, jetzt kommt er herein. Nein! -- Aber er
erzaͤhlt werden. Seine graue Kleidung, wo Seide, Sammt und Wolle gegen einander eine abſtechende Schattirung gemacht, und wie er darauf ſtudirt habe, immer noch ein neues Grau auf ſeinen Koͤrper zu brin¬ gen. Dann wie er die Gedichte geſchrieben, den Setzer nachgeaͤfft und den Anſtand und die Wuͤrde des Schrei¬ benden hervorgehoben. Auch wie es ſein Lieblings- Zeitvertreib geweſen, im Fenſter zu liegen, die Vorbey¬ gehenden zu muſtern und ihren Anzug in Gedanken ſo zu veraͤndern, daß es hoͤchſt laͤcherlich geweſen ſeyn wuͤrde, wenn die Leute ſich ſo gekleidet haͤtten. „Und dann ſein gewoͤhnlicher Spaß mit dem Poſtboten, ſagte Goethe, wie gefaͤllt Ihnen der, iſt der nicht auch luſtig?“ Der iſt mir unbekannt, ſagte ich, es ſteht davon nichts in Ihrem Leben. „Wunderlich! ſagte Goethe, ſo will ich es Ihnen denn erzaͤhlen.“
„Wenn wir zuſammen im Fenſter lagen, Beh¬ riſch in der Straße den Brieftraͤger kommen ſah, wie er von einem Hauſe ins andere ging, nahm er gewoͤhn¬ lich einen Groſchen aus der Taſche und legte ihn bey ſich ins Fenſter. Siehſt Du den Brieftraͤger? ſagte er dann zu mir gewendet, er kommt immer naͤher und wird gleich hier oben ſeyn, das ſehe ich ihm an. Er hat einen Brief an Dich, und was fuͤr einen Brief, keinen gewoͤhn¬ lichen Brief, er hat einen Brief mit einem Wechſel, — mit einem Wechſel! ich will nicht ſagen wie ſtark. — Siehſt Du, jetzt kommt er herein. Nein! — Aber er
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erzaͤhlt werden. Seine graue Kleidung, wo Seide,
Sammt und Wolle gegen einander eine abſtechende
Schattirung gemacht, und wie er darauf ſtudirt habe,
immer noch ein neues Grau auf ſeinen Koͤrper zu brin¬
gen. Dann wie er die Gedichte geſchrieben, den Setzer
nachgeaͤfft und den Anſtand und die Wuͤrde des Schrei¬
benden hervorgehoben. Auch wie es ſein Lieblings-
Zeitvertreib geweſen, im Fenſter zu liegen, die Vorbey¬
gehenden zu muſtern und ihren Anzug in Gedanken ſo
zu veraͤndern, daß es hoͤchſt laͤcherlich geweſen ſeyn
wuͤrde, wenn die Leute ſich ſo gekleidet haͤtten. „Und
dann ſein gewoͤhnlicher Spaß mit dem Poſtboten, ſagte
Goethe, wie gefaͤllt Ihnen der, iſt der nicht auch luſtig?“
Der iſt mir unbekannt, ſagte ich, es ſteht davon nichts
in Ihrem Leben. „Wunderlich! ſagte Goethe, ſo will
ich es Ihnen denn erzaͤhlen.“
„Wenn wir zuſammen im Fenſter lagen, Beh¬
riſch in der Straße den Brieftraͤger kommen ſah, wie
er von einem Hauſe ins andere ging, nahm er gewoͤhn¬
lich einen Groſchen aus der Taſche und legte ihn bey
ſich ins Fenſter. Siehſt Du den Brieftraͤger? ſagte er
dann zu mir gewendet, er kommt immer naͤher und wird
gleich hier oben ſeyn, das ſehe ich ihm an. Er hat einen
Brief an Dich, und was fuͤr einen Brief, keinen gewoͤhn¬
lichen Brief, er hat einen Brief mit einem Wechſel, —
mit einem Wechſel! ich will nicht ſagen wie ſtark. —
Siehſt Du, jetzt kommt er herein. Nein! — Aber er
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/186>, abgerufen am 27.11.2024.
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