und meine Iphigenie, durch das Vorwalten der Em¬ pfindung, keineswegs so classisch und im antiken Sinne sey, als man vielleicht glauben möchte. Die Schlegel ergriffen die Idee und trieben sie weiter, so daß sie sich denn jetzt über die ganze Welt ausgedehnt hat, und nun jedermann von Classicismus und Romanticismus redet, woran vor funfzig Jahren niemand dachte."
Ich lenkte das Gespräch wieder auf den Cyclus der zwölf Figuren, und Goethe sagte mir noch Einiges zur Ergänzung.
"Den Adam müßte man bilden wie ich gesagt, jedoch nicht ganz nackt, indem ich ihn mir am besten nach dem Sündenfall denke; man müßte ihn mit einem dünnen Rehfellchen bekleiden. Und zugleich, um auszu¬ drücken, daß er der Vater der Menschheit, so würde man wohl thun, ihm seinen ältesten Sohn beyzugeben, einen trotzigen, kühn um sich blickenden Knaben, einen kleinen Herkules, in der Hand eine Schlange erdrückend."
"Auch wegen Noah haben ich einen anderen Ge¬ danken gehabt, der mir besser gefällt; ich würde ihn nicht dem indischen Bachus anähneln, sondern ich würde ihn als Winzer darstellen, wobey man sich eine Art von Erlöser denken könnte, der, als erster Pfleger des Wein¬ stocks, die Menschheit von der Qual der Sorgen und Bedrängnisse frey machte."
Ich war beglückt über diese guten Gedanken und nahm mir vor sie zu notiren.
und meine Iphigenie, durch das Vorwalten der Em¬ pfindung, keineswegs ſo claſſiſch und im antiken Sinne ſey, als man vielleicht glauben moͤchte. Die Schlegel ergriffen die Idee und trieben ſie weiter, ſo daß ſie ſich denn jetzt uͤber die ganze Welt ausgedehnt hat, und nun jedermann von Claſſicismus und Romanticismus redet, woran vor funfzig Jahren niemand dachte.“
Ich lenkte das Geſpraͤch wieder auf den Cyclus der zwoͤlf Figuren, und Goethe ſagte mir noch Einiges zur Ergaͤnzung.
„Den Adam muͤßte man bilden wie ich geſagt, jedoch nicht ganz nackt, indem ich ihn mir am beſten nach dem Suͤndenfall denke; man muͤßte ihn mit einem duͤnnen Rehfellchen bekleiden. Und zugleich, um auszu¬ druͤcken, daß er der Vater der Menſchheit, ſo wuͤrde man wohl thun, ihm ſeinen aͤlteſten Sohn beyzugeben, einen trotzigen, kuͤhn um ſich blickenden Knaben, einen kleinen Herkules, in der Hand eine Schlange erdruͤckend.“
„Auch wegen Noah haben ich einen anderen Ge¬ danken gehabt, der mir beſſer gefaͤllt; ich wuͤrde ihn nicht dem indiſchen Bachus anaͤhneln, ſondern ich wuͤrde ihn als Winzer darſtellen, wobey man ſich eine Art von Erloͤſer denken koͤnnte, der, als erſter Pfleger des Wein¬ ſtocks, die Menſchheit von der Qual der Sorgen und Bedraͤngniſſe frey machte.“
Ich war begluͤckt uͤber dieſe guten Gedanken und nahm mir vor ſie zu notiren.
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[204/0214]
und meine Iphigenie, durch das Vorwalten der Em¬
pfindung, keineswegs ſo claſſiſch und im antiken Sinne
ſey, als man vielleicht glauben moͤchte. Die Schlegel
ergriffen die Idee und trieben ſie weiter, ſo daß ſie ſich
denn jetzt uͤber die ganze Welt ausgedehnt hat, und
nun jedermann von Claſſicismus und Romanticismus
redet, woran vor funfzig Jahren niemand dachte.“
Ich lenkte das Geſpraͤch wieder auf den Cyclus der
zwoͤlf Figuren, und Goethe ſagte mir noch Einiges zur
Ergaͤnzung.
„Den Adam muͤßte man bilden wie ich geſagt,
jedoch nicht ganz nackt, indem ich ihn mir am beſten
nach dem Suͤndenfall denke; man muͤßte ihn mit einem
duͤnnen Rehfellchen bekleiden. Und zugleich, um auszu¬
druͤcken, daß er der Vater der Menſchheit, ſo wuͤrde
man wohl thun, ihm ſeinen aͤlteſten Sohn beyzugeben,
einen trotzigen, kuͤhn um ſich blickenden Knaben, einen
kleinen Herkules, in der Hand eine Schlange erdruͤckend.“
„Auch wegen Noah haben ich einen anderen Ge¬
danken gehabt, der mir beſſer gefaͤllt; ich wuͤrde ihn
nicht dem indiſchen Bachus anaͤhneln, ſondern ich wuͤrde
ihn als Winzer darſtellen, wobey man ſich eine Art von
Erloͤſer denken koͤnnte, der, als erſter Pfleger des Wein¬
ſtocks, die Menſchheit von der Qual der Sorgen und
Bedraͤngniſſe frey machte.“
Ich war begluͤckt uͤber dieſe guten Gedanken und
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/214>, abgerufen am 21.11.2024.
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