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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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zugeben, daß das Ganze recht eigentlich für die Bühne
gedacht ist. Schiller war auch sehr für das Stück,
und wir haben es einmal gegeben, wo es sich denn für
höhere Menschen wirklich brillant machte. Für das
Publicum im Allgemeinen jedoch ist es nicht; die be¬
handelten Verbrechen behalten immer etwas Apprehen¬
sives, wobey es den Leuten nicht heimlich ist. Es fällt,
seinem verwegenen Character nach, ganz in den Kreis
der Clara Gazul, und der französische Dichter könnte
mich wirklich beneiden, daß ich ihm ein so gutes Süjet
vorweggenommen. Ich sage ein so gutes Süjet,
denn im Grunde ist es nicht bloß von sittlicher, sondern
auch von großer historischer Bedeutung; das Factum
geht der französischen Revolution unmittelbar voran und
ist davon gewissermaßen das Fundament. Die Königin,
der fatalen Halsbandsgeschichte so nahe verflochten, ver¬
lor ihre Würde, ja ihre Achtung, und so hatte sie denn
in der Meinung des Volkes den Standpunct verloren,
um unantastbar zu seyn. Der Haß schadet niemanden,
aber die Verachtung ist es was den Menschen stürzet.
Kotzebue wurde lange gehaßt, aber damit der Dolch
des Studenten sich an ihn wagen konnte, mußten ihn
gewisse Journale erst verächtlich machen."


zugeben, daß das Ganze recht eigentlich fuͤr die Buͤhne
gedacht iſt. Schiller war auch ſehr fuͤr das Stuͤck,
und wir haben es einmal gegeben, wo es ſich denn fuͤr
hoͤhere Menſchen wirklich brillant machte. Fuͤr das
Publicum im Allgemeinen jedoch iſt es nicht; die be¬
handelten Verbrechen behalten immer etwas Apprehen¬
ſives, wobey es den Leuten nicht heimlich iſt. Es faͤllt,
ſeinem verwegenen Character nach, ganz in den Kreis
der Clara Gazul, und der franzoͤſiſche Dichter koͤnnte
mich wirklich beneiden, daß ich ihm ein ſo gutes Suͤjet
vorweggenommen. Ich ſage ein ſo gutes Suͤjet,
denn im Grunde iſt es nicht bloß von ſittlicher, ſondern
auch von großer hiſtoriſcher Bedeutung; das Factum
geht der franzoͤſiſchen Revolution unmittelbar voran und
iſt davon gewiſſermaßen das Fundament. Die Koͤnigin,
der fatalen Halsbandsgeſchichte ſo nahe verflochten, ver¬
lor ihre Wuͤrde, ja ihre Achtung, und ſo hatte ſie denn
in der Meinung des Volkes den Standpunct verloren,
um unantaſtbar zu ſeyn. Der Haß ſchadet niemanden,
aber die Verachtung iſt es was den Menſchen ſtuͤrzet.
Kotzebue wurde lange gehaßt, aber damit der Dolch
des Studenten ſich an ihn wagen konnte, mußten ihn
gewiſſe Journale erſt veraͤchtlich machen.“


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[272/0282] zugeben, daß das Ganze recht eigentlich fuͤr die Buͤhne gedacht iſt. Schiller war auch ſehr fuͤr das Stuͤck, und wir haben es einmal gegeben, wo es ſich denn fuͤr hoͤhere Menſchen wirklich brillant machte. Fuͤr das Publicum im Allgemeinen jedoch iſt es nicht; die be¬ handelten Verbrechen behalten immer etwas Apprehen¬ ſives, wobey es den Leuten nicht heimlich iſt. Es faͤllt, ſeinem verwegenen Character nach, ganz in den Kreis der Clara Gazul, und der franzoͤſiſche Dichter koͤnnte mich wirklich beneiden, daß ich ihm ein ſo gutes Suͤjet vorweggenommen. Ich ſage ein ſo gutes Suͤjet, denn im Grunde iſt es nicht bloß von ſittlicher, ſondern auch von großer hiſtoriſcher Bedeutung; das Factum geht der franzoͤſiſchen Revolution unmittelbar voran und iſt davon gewiſſermaßen das Fundament. Die Koͤnigin, der fatalen Halsbandsgeſchichte ſo nahe verflochten, ver¬ lor ihre Wuͤrde, ja ihre Achtung, und ſo hatte ſie denn in der Meinung des Volkes den Standpunct verloren, um unantaſtbar zu ſeyn. Der Haß ſchadet niemanden, aber die Verachtung iſt es was den Menſchen ſtuͤrzet. Kotzebue wurde lange gehaßt, aber damit der Dolch des Studenten ſich an ihn wagen konnte, mußten ihn gewiſſe Journale erſt veraͤchtlich machen.“

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/282>, abgerufen am 22.11.2024.