zugeben, daß das Ganze recht eigentlich für die Bühne gedacht ist. Schiller war auch sehr für das Stück, und wir haben es einmal gegeben, wo es sich denn für höhere Menschen wirklich brillant machte. Für das Publicum im Allgemeinen jedoch ist es nicht; die be¬ handelten Verbrechen behalten immer etwas Apprehen¬ sives, wobey es den Leuten nicht heimlich ist. Es fällt, seinem verwegenen Character nach, ganz in den Kreis der Clara Gazul, und der französische Dichter könnte mich wirklich beneiden, daß ich ihm ein so gutes Süjet vorweggenommen. Ich sage ein so gutes Süjet, denn im Grunde ist es nicht bloß von sittlicher, sondern auch von großer historischer Bedeutung; das Factum geht der französischen Revolution unmittelbar voran und ist davon gewissermaßen das Fundament. Die Königin, der fatalen Halsbandsgeschichte so nahe verflochten, ver¬ lor ihre Würde, ja ihre Achtung, und so hatte sie denn in der Meinung des Volkes den Standpunct verloren, um unantastbar zu seyn. Der Haß schadet niemanden, aber die Verachtung ist es was den Menschen stürzet. Kotzebue wurde lange gehaßt, aber damit der Dolch des Studenten sich an ihn wagen konnte, mußten ihn gewisse Journale erst verächtlich machen."
zugeben, daß das Ganze recht eigentlich fuͤr die Buͤhne gedacht iſt. Schiller war auch ſehr fuͤr das Stuͤck, und wir haben es einmal gegeben, wo es ſich denn fuͤr hoͤhere Menſchen wirklich brillant machte. Fuͤr das Publicum im Allgemeinen jedoch iſt es nicht; die be¬ handelten Verbrechen behalten immer etwas Apprehen¬ ſives, wobey es den Leuten nicht heimlich iſt. Es faͤllt, ſeinem verwegenen Character nach, ganz in den Kreis der Clara Gazul, und der franzoͤſiſche Dichter koͤnnte mich wirklich beneiden, daß ich ihm ein ſo gutes Suͤjet vorweggenommen. Ich ſage ein ſo gutes Suͤjet, denn im Grunde iſt es nicht bloß von ſittlicher, ſondern auch von großer hiſtoriſcher Bedeutung; das Factum geht der franzoͤſiſchen Revolution unmittelbar voran und iſt davon gewiſſermaßen das Fundament. Die Koͤnigin, der fatalen Halsbandsgeſchichte ſo nahe verflochten, ver¬ lor ihre Wuͤrde, ja ihre Achtung, und ſo hatte ſie denn in der Meinung des Volkes den Standpunct verloren, um unantaſtbar zu ſeyn. Der Haß ſchadet niemanden, aber die Verachtung iſt es was den Menſchen ſtuͤrzet. Kotzebue wurde lange gehaßt, aber damit der Dolch des Studenten ſich an ihn wagen konnte, mußten ihn gewiſſe Journale erſt veraͤchtlich machen.“
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0282"n="272"/>
zugeben, daß das Ganze recht eigentlich fuͤr die Buͤhne<lb/>
gedacht iſt. <hirendition="#g">Schiller</hi> war auch ſehr fuͤr das Stuͤck,<lb/>
und wir haben es einmal gegeben, wo es ſich denn fuͤr<lb/>
hoͤhere Menſchen wirklich brillant machte. Fuͤr das<lb/>
Publicum im Allgemeinen jedoch iſt es nicht; die be¬<lb/>
handelten Verbrechen behalten immer etwas Apprehen¬<lb/>ſives, wobey es den Leuten nicht heimlich iſt. Es faͤllt,<lb/>ſeinem verwegenen Character nach, ganz in den Kreis<lb/>
der <hirendition="#g">Clara Gazul</hi>, und der franzoͤſiſche Dichter koͤnnte<lb/>
mich wirklich beneiden, daß ich ihm ein ſo gutes Suͤjet<lb/>
vorweggenommen. Ich ſage <hirendition="#g">ein ſo gutes Suͤjet</hi>,<lb/>
denn im Grunde iſt es nicht bloß von ſittlicher, ſondern<lb/>
auch von großer hiſtoriſcher Bedeutung; das Factum<lb/>
geht der franzoͤſiſchen Revolution unmittelbar voran und<lb/>
iſt davon gewiſſermaßen das Fundament. Die Koͤnigin,<lb/>
der fatalen Halsbandsgeſchichte ſo nahe verflochten, ver¬<lb/>
lor ihre Wuͤrde, ja ihre Achtung, und ſo hatte ſie denn<lb/>
in der Meinung des Volkes den Standpunct verloren,<lb/>
um unantaſtbar zu ſeyn. Der Haß ſchadet niemanden,<lb/>
aber die Verachtung iſt es was den Menſchen ſtuͤrzet.<lb/><hirendition="#g">Kotzebue</hi> wurde lange gehaßt, aber damit der Dolch<lb/>
des Studenten ſich an ihn wagen konnte, mußten ihn<lb/>
gewiſſe Journale erſt veraͤchtlich machen.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></body></text></TEI>
[272/0282]
zugeben, daß das Ganze recht eigentlich fuͤr die Buͤhne
gedacht iſt. Schiller war auch ſehr fuͤr das Stuͤck,
und wir haben es einmal gegeben, wo es ſich denn fuͤr
hoͤhere Menſchen wirklich brillant machte. Fuͤr das
Publicum im Allgemeinen jedoch iſt es nicht; die be¬
handelten Verbrechen behalten immer etwas Apprehen¬
ſives, wobey es den Leuten nicht heimlich iſt. Es faͤllt,
ſeinem verwegenen Character nach, ganz in den Kreis
der Clara Gazul, und der franzoͤſiſche Dichter koͤnnte
mich wirklich beneiden, daß ich ihm ein ſo gutes Suͤjet
vorweggenommen. Ich ſage ein ſo gutes Suͤjet,
denn im Grunde iſt es nicht bloß von ſittlicher, ſondern
auch von großer hiſtoriſcher Bedeutung; das Factum
geht der franzoͤſiſchen Revolution unmittelbar voran und
iſt davon gewiſſermaßen das Fundament. Die Koͤnigin,
der fatalen Halsbandsgeſchichte ſo nahe verflochten, ver¬
lor ihre Wuͤrde, ja ihre Achtung, und ſo hatte ſie denn
in der Meinung des Volkes den Standpunct verloren,
um unantaſtbar zu ſeyn. Der Haß ſchadet niemanden,
aber die Verachtung iſt es was den Menſchen ſtuͤrzet.
Kotzebue wurde lange gehaßt, aber damit der Dolch
des Studenten ſich an ihn wagen konnte, mußten ihn
gewiſſe Journale erſt veraͤchtlich machen.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/282>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.