Dichter noch ein zweytes mächtiges Motiv, nämlich das der Musik, deren magische Gewalt die Menschen von den ältesten Zeiten her empfunden haben, und von der auch wir uns noch täglich beherrschen lassen, ohne zu wissen wie uns geschieht.
Und wie nun Orpheus durch eine solche Magie alle Thiere des Waldes zu sich heranzog, und in dem letz¬ ten griechischen Dichter ein junger Hirt mit seiner Flöte die Ziegen leitet, so daß sie auf verschiedene Melodien sich zerstreuen und versammeln, vor dem Feind fliehen und ruhig hinweiden, so übt auch in Goethe's Novelle die Musik auf den Löwen ihre Macht aus, indem das gewaltige Thier den Melodien der süßen Flöte nachgeht, und überall folget, wohin die Unschuld des Knaben ihn leiten will.
Indem ich nun über so unerklärliche Dinge mit ver¬ schiedenen Leuten gesprochen, habe ich die Bemerkung gemacht, daß der Mensch von seinen trefflichen Vorzü¬ gen so sehr eingenommen ist, daß er sie den Göttern beyzulegen gar kein Bedenken trägt, allein den Thieren daran einen Antheil zu vergönnen sich nicht gerne ent¬ schließen mag.
Dichter noch ein zweytes maͤchtiges Motiv, naͤmlich das der Muſik, deren magiſche Gewalt die Menſchen von den aͤlteſten Zeiten her empfunden haben, und von der auch wir uns noch taͤglich beherrſchen laſſen, ohne zu wiſſen wie uns geſchieht.
Und wie nun Orpheus durch eine ſolche Magie alle Thiere des Waldes zu ſich heranzog, und in dem letz¬ ten griechiſchen Dichter ein junger Hirt mit ſeiner Floͤte die Ziegen leitet, ſo daß ſie auf verſchiedene Melodien ſich zerſtreuen und verſammeln, vor dem Feind fliehen und ruhig hinweiden, ſo uͤbt auch in Goethe's Novelle die Muſik auf den Loͤwen ihre Macht aus, indem das gewaltige Thier den Melodien der ſuͤßen Floͤte nachgeht, und uͤberall folget, wohin die Unſchuld des Knaben ihn leiten will.
Indem ich nun uͤber ſo unerklaͤrliche Dinge mit ver¬ ſchiedenen Leuten geſprochen, habe ich die Bemerkung gemacht, daß der Menſch von ſeinen trefflichen Vorzuͤ¬ gen ſo ſehr eingenommen iſt, daß er ſie den Goͤttern beyzulegen gar kein Bedenken traͤgt, allein den Thieren daran einen Antheil zu vergoͤnnen ſich nicht gerne ent¬ ſchließen mag.
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Dichter noch ein zweytes maͤchtiges Motiv, naͤmlich das
der Muſik, deren magiſche Gewalt die Menſchen von
den aͤlteſten Zeiten her empfunden haben, und von der
auch wir uns noch taͤglich beherrſchen laſſen, ohne zu
wiſſen wie uns geſchieht.
Und wie nun Orpheus durch eine ſolche Magie alle
Thiere des Waldes zu ſich heranzog, und in dem letz¬
ten griechiſchen Dichter ein junger Hirt mit ſeiner Floͤte
die Ziegen leitet, ſo daß ſie auf verſchiedene Melodien
ſich zerſtreuen und verſammeln, vor dem Feind fliehen
und ruhig hinweiden, ſo uͤbt auch in Goethe's Novelle
die Muſik auf den Loͤwen ihre Macht aus, indem das
gewaltige Thier den Melodien der ſuͤßen Floͤte nachgeht,
und uͤberall folget, wohin die Unſchuld des Knaben ihn
leiten will.
Indem ich nun uͤber ſo unerklaͤrliche Dinge mit ver¬
ſchiedenen Leuten geſprochen, habe ich die Bemerkung
gemacht, daß der Menſch von ſeinen trefflichen Vorzuͤ¬
gen ſo ſehr eingenommen iſt, daß er ſie den Goͤttern
beyzulegen gar kein Bedenken traͤgt, allein den Thieren
daran einen Antheil zu vergoͤnnen ſich nicht gerne ent¬
ſchließen mag.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/324>, abgerufen am 24.11.2024.
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