"Herr v. Reutern wünscht, sagte Goethe, daß ich ihm in die freygelassene Stelle etwas hineinschreibe; al¬ lein sein Rahmen ist so prächtig und kunstreich, daß ich mit meiner Handschrift das Bild zu verderben fürchte. Ich habe zu diesem Zweck einige Verse gedichtet, und schon gedacht, ob es nicht besser sey, sie durch die Hand eines Schönschreibers eintragen zu lassen. Ich wollte es dann eigenhändig unterschreiben. Was sagen Sie dazu, und was rathen Sie mir?"
Wenn ich Herr v. Reutern wäre, sagte ich, so würde ich unglücklich seyn, wenn das Gedicht in einer fremden Handschrift käme, aber glücklich, wenn es von Ihrer eigenen Hand geschrieben wäre. Der Maler hat Kunst genug in der Umgebung entwickelt, in der Schrift braucht keine zu seyn, es kommt bloß darauf an, daß sie echt, daß sie die Ihrige sey. Und dann rathe ich sogar, es nicht mit lateinischen, sondern mit deutschen Let¬ tern zu schreiben, weil Ihre Hand darin mehr eigen¬ thümlichen Character hat, und es auch besser zu der gothischen Umgebung paßt.
"Sie mögen Recht haben, sagte Goethe, und es ist am Ende der kürzeste Weg, daß ich so thue. Vielleicht kommt mir in diesen Tagen ein muthiger Augenblick, daß ich es wage. Wenn ich aber auf das schöne Bild einen Klecks mache, fügte er lachend hinzu, so mögt Ihr es verantworten." Schreiben Sie nur, sagte ich, es wird recht seyn, wie es auch werde.
„Herr v. Reutern wuͤnſcht, ſagte Goethe, daß ich ihm in die freygelaſſene Stelle etwas hineinſchreibe; al¬ lein ſein Rahmen iſt ſo praͤchtig und kunſtreich, daß ich mit meiner Handſchrift das Bild zu verderben fuͤrchte. Ich habe zu dieſem Zweck einige Verſe gedichtet, und ſchon gedacht, ob es nicht beſſer ſey, ſie durch die Hand eines Schoͤnſchreibers eintragen zu laſſen. Ich wollte es dann eigenhaͤndig unterſchreiben. Was ſagen Sie dazu, und was rathen Sie mir?“
Wenn ich Herr v. Reutern waͤre, ſagte ich, ſo wuͤrde ich ungluͤcklich ſeyn, wenn das Gedicht in einer fremden Handſchrift kaͤme, aber gluͤcklich, wenn es von Ihrer eigenen Hand geſchrieben waͤre. Der Maler hat Kunſt genug in der Umgebung entwickelt, in der Schrift braucht keine zu ſeyn, es kommt bloß darauf an, daß ſie echt, daß ſie die Ihrige ſey. Und dann rathe ich ſogar, es nicht mit lateiniſchen, ſondern mit deutſchen Let¬ tern zu ſchreiben, weil Ihre Hand darin mehr eigen¬ thuͤmlichen Character hat, und es auch beſſer zu der gothiſchen Umgebung paßt.
„Sie moͤgen Recht haben, ſagte Goethe, und es iſt am Ende der kuͤrzeſte Weg, daß ich ſo thue. Vielleicht kommt mir in dieſen Tagen ein muthiger Augenblick, daß ich es wage. Wenn ich aber auf das ſchoͤne Bild einen Klecks mache, fuͤgte er lachend hinzu, ſo moͤgt Ihr es verantworten.“ Schreiben Sie nur, ſagte ich, es wird recht ſeyn, wie es auch werde.
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„Herr v. Reutern wuͤnſcht, ſagte Goethe, daß ich
ihm in die freygelaſſene Stelle etwas hineinſchreibe; al¬
lein ſein Rahmen iſt ſo praͤchtig und kunſtreich, daß
ich mit meiner Handſchrift das Bild zu verderben fuͤrchte.
Ich habe zu dieſem Zweck einige Verſe gedichtet, und
ſchon gedacht, ob es nicht beſſer ſey, ſie durch die Hand
eines Schoͤnſchreibers eintragen zu laſſen. Ich wollte
es dann eigenhaͤndig unterſchreiben. Was ſagen Sie
dazu, und was rathen Sie mir?“
Wenn ich Herr v. Reutern waͤre, ſagte ich, ſo
wuͤrde ich ungluͤcklich ſeyn, wenn das Gedicht in einer
fremden Handſchrift kaͤme, aber gluͤcklich, wenn es von
Ihrer eigenen Hand geſchrieben waͤre. Der Maler hat
Kunſt genug in der Umgebung entwickelt, in der Schrift
braucht keine zu ſeyn, es kommt bloß darauf an, daß
ſie echt, daß ſie die Ihrige ſey. Und dann rathe ich
ſogar, es nicht mit lateiniſchen, ſondern mit deutſchen Let¬
tern zu ſchreiben, weil Ihre Hand darin mehr eigen¬
thuͤmlichen Character hat, und es auch beſſer zu der
gothiſchen Umgebung paßt.
„Sie moͤgen Recht haben, ſagte Goethe, und es iſt
am Ende der kuͤrzeſte Weg, daß ich ſo thue. Vielleicht
kommt mir in dieſen Tagen ein muthiger Augenblick,
daß ich es wage. Wenn ich aber auf das ſchoͤne Bild
einen Klecks mache, fuͤgte er lachend hinzu, ſo moͤgt
Ihr es verantworten.“ Schreiben Sie nur, ſagte ich,
es wird recht ſeyn, wie es auch werde.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/348>, abgerufen am 24.11.2024.
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