"Man ist oft gleichgültiger als billig, antwortete Goethe. Und dann war ich in jener Zeit mit anderen Dingen tief beschäftigt. Ich hatte so wenig ein Interesse für Egmont wie für das Theater; ich ließ ihn gewäh¬ ren. Jetzt ist es wenigstens ein Trost für mich, daß das Stück gedruckt dasteht, und daß es Bühnen giebt, die verständig genug sind, es treu und ohne Verkürzung ganz so aufzuführen wie ich es geschrieben."
Goethe erkundigte sich sodann nach der Farben¬ lehre und ob ich seinem Vorschlage, ein Compendium zu schreiben, weiter nachgedacht. Ich sagte ihm wie es damit stehe, und so geriethen wir unvermuthet in eine Differenz, die ich bey der Wichtigkeit des Gegenstandes mittheilen will.
Wer es beobachtet hat, wird sich erinnern, daß bey heiteren Wintertagen und Sonnenschein, die Schatten auf dem Schnee häufig blau gesehen werden. Dieses Phänomen bringt Goethe in seiner Farbenlehre unter die subjectiven Erscheinungen, indem er als Grundlage annimmt, daß das Sonnenlicht zu uns, die wir nicht auf den Gipfeln hoher Berge wohnen, nicht durchaus weiß, sondern, durch eine mehr oder weniger dunst¬ reiche Atmosphäre dringend, in einem gelblichen Schein herabkomme; und daß also der Schnee, von der Sonne beschienen, nicht durchaus weiß, sondern eine gelblich tingirte Fläche sey, die das Auge zum Gegensatz und also zur Hervorbringung der blauen Farbe anreize. Der
„Man iſt oft gleichguͤltiger als billig, antwortete Goethe. Und dann war ich in jener Zeit mit anderen Dingen tief beſchaͤftigt. Ich hatte ſo wenig ein Intereſſe fuͤr Egmont wie fuͤr das Theater; ich ließ ihn gewaͤh¬ ren. Jetzt iſt es wenigſtens ein Troſt fuͤr mich, daß das Stuͤck gedruckt daſteht, und daß es Buͤhnen giebt, die verſtaͤndig genug ſind, es treu und ohne Verkuͤrzung ganz ſo aufzufuͤhren wie ich es geſchrieben.“
Goethe erkundigte ſich ſodann nach der Farben¬ lehre und ob ich ſeinem Vorſchlage, ein Compendium zu ſchreiben, weiter nachgedacht. Ich ſagte ihm wie es damit ſtehe, und ſo geriethen wir unvermuthet in eine Differenz, die ich bey der Wichtigkeit des Gegenſtandes mittheilen will.
Wer es beobachtet hat, wird ſich erinnern, daß bey heiteren Wintertagen und Sonnenſchein, die Schatten auf dem Schnee haͤufig blau geſehen werden. Dieſes Phaͤnomen bringt Goethe in ſeiner Farbenlehre unter die ſubjectiven Erſcheinungen, indem er als Grundlage annimmt, daß das Sonnenlicht zu uns, die wir nicht auf den Gipfeln hoher Berge wohnen, nicht durchaus weiß, ſondern, durch eine mehr oder weniger dunſt¬ reiche Atmoſphaͤre dringend, in einem gelblichen Schein herabkomme; und daß alſo der Schnee, von der Sonne beſchienen, nicht durchaus weiß, ſondern eine gelblich tingirte Flaͤche ſey, die das Auge zum Gegenſatz und alſo zur Hervorbringung der blauen Farbe anreize. Der
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„Man iſt oft gleichguͤltiger als billig, antwortete
Goethe. Und dann war ich in jener Zeit mit anderen
Dingen tief beſchaͤftigt. Ich hatte ſo wenig ein Intereſſe
fuͤr Egmont wie fuͤr das Theater; ich ließ ihn gewaͤh¬
ren. Jetzt iſt es wenigſtens ein Troſt fuͤr mich, daß das
Stuͤck gedruckt daſteht, und daß es Buͤhnen giebt, die
verſtaͤndig genug ſind, es treu und ohne Verkuͤrzung
ganz ſo aufzufuͤhren wie ich es geſchrieben.“
Goethe erkundigte ſich ſodann nach der Farben¬
lehre und ob ich ſeinem Vorſchlage, ein Compendium
zu ſchreiben, weiter nachgedacht. Ich ſagte ihm wie es
damit ſtehe, und ſo geriethen wir unvermuthet in eine
Differenz, die ich bey der Wichtigkeit des Gegenſtandes
mittheilen will.
Wer es beobachtet hat, wird ſich erinnern, daß bey
heiteren Wintertagen und Sonnenſchein, die Schatten
auf dem Schnee haͤufig blau geſehen werden. Dieſes
Phaͤnomen bringt Goethe in ſeiner Farbenlehre unter
die ſubjectiven Erſcheinungen, indem er als Grundlage
annimmt, daß das Sonnenlicht zu uns, die wir nicht
auf den Gipfeln hoher Berge wohnen, nicht durchaus
weiß, ſondern, durch eine mehr oder weniger dunſt¬
reiche Atmoſphaͤre dringend, in einem gelblichen Schein
herabkomme; und daß alſo der Schnee, von der Sonne
beſchienen, nicht durchaus weiß, ſondern eine gelblich
tingirte Flaͤche ſey, die das Auge zum Gegenſatz und
alſo zur Hervorbringung der blauen Farbe anreize. Der
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/86>, abgerufen am 26.11.2024.
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