Dünste, einem Heerrauch ähnlich, und verbreitete über den Schnee einen durchaus gelben Schein; sie wirkte mächtig genug, um entschiedene Schatten zu werfen, und es hätte in diesem Fall, nach Goethe's Lehre, das frischeste Blau entstehen müssen. Es entstand aber nicht, die Schatten blieben grau.
Am nächsten Vormittage, bey bewölkter Atmosphäre, blickte die Sonne von Zeit zu Zeit herdurch, und warf auf dem Schnee entschiedene Schatten. Allein sie waren ebenfalls nicht blau, sondern grau. In beyden Fällen fehlte der Wiederschein des blauen Himmels, um dem Schatten seine Färbung zu geben.
Ich hatte demnach eine hinreichende Überzeugung gewonnen, daß Goethe's Ableitung des mehrgedachten Phänomens von der Natur nicht als wahr bestätiget werde, und daß seine diesen Gegenstand behandelnden Paragraphen der Farbenlehre einer Umarbeitung dringend bedürften.
Etwas Ähnliches begegnete mir mit den farbigen Doppelschatten, die mit Hülfe eines Kerzenlichtes Mor¬ gens früh bey Tagesanbruch, so wie Abends in der ersten Dämmerung, deßgleichen bey hellem Mondschein, besonders schön gesehen werden. Daß hiebey der eine Schatten, nämlich der vom Kerzenlichte erleuchtete, gelbe, objectiver Art sey und in die Lehre von den trüben Mit¬ teln gehöre, hat Goethe nicht ausgesprochen, obgleich es so ist; den andern, vom schwachen Tages- oder Mond¬
Duͤnſte, einem Heerrauch aͤhnlich, und verbreitete uͤber den Schnee einen durchaus gelben Schein; ſie wirkte maͤchtig genug, um entſchiedene Schatten zu werfen, und es haͤtte in dieſem Fall, nach Goethe's Lehre, das friſcheſte Blau entſtehen muͤſſen. Es entſtand aber nicht, die Schatten blieben grau.
Am naͤchſten Vormittage, bey bewoͤlkter Atmoſphaͤre, blickte die Sonne von Zeit zu Zeit herdurch, und warf auf dem Schnee entſchiedene Schatten. Allein ſie waren ebenfalls nicht blau, ſondern grau. In beyden Faͤllen fehlte der Wiederſchein des blauen Himmels, um dem Schatten ſeine Faͤrbung zu geben.
Ich hatte demnach eine hinreichende Überzeugung gewonnen, daß Goethe's Ableitung des mehrgedachten Phaͤnomens von der Natur nicht als wahr beſtaͤtiget werde, und daß ſeine dieſen Gegenſtand behandelnden Paragraphen der Farbenlehre einer Umarbeitung dringend beduͤrften.
Etwas Ähnliches begegnete mir mit den farbigen Doppelſchatten, die mit Huͤlfe eines Kerzenlichtes Mor¬ gens fruͤh bey Tagesanbruch, ſo wie Abends in der erſten Daͤmmerung, deßgleichen bey hellem Mondſchein, beſonders ſchoͤn geſehen werden. Daß hiebey der eine Schatten, naͤmlich der vom Kerzenlichte erleuchtete, gelbe, objectiver Art ſey und in die Lehre von den truͤben Mit¬ teln gehoͤre, hat Goethe nicht ausgeſprochen, obgleich es ſo iſt; den andern, vom ſchwachen Tages- oder Mond¬
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0089"n="79"/>
Duͤnſte, einem Heerrauch aͤhnlich, und verbreitete uͤber<lb/>
den Schnee einen durchaus gelben Schein; ſie wirkte<lb/>
maͤchtig genug, um entſchiedene Schatten zu werfen,<lb/>
und es haͤtte in dieſem Fall, nach Goethe's Lehre, das<lb/>
friſcheſte Blau entſtehen muͤſſen. Es entſtand aber nicht,<lb/>
die Schatten blieben <hirendition="#g">grau</hi>.</p><lb/><p>Am naͤchſten Vormittage, bey bewoͤlkter Atmoſphaͤre,<lb/>
blickte die Sonne von Zeit zu Zeit herdurch, und warf<lb/>
auf dem Schnee entſchiedene Schatten. Allein ſie waren<lb/>
ebenfalls nicht <hirendition="#g">blau</hi>, ſondern <hirendition="#g">grau</hi>. In beyden Faͤllen<lb/>
fehlte der Wiederſchein des blauen Himmels, um dem<lb/>
Schatten ſeine Faͤrbung zu geben.</p><lb/><p>Ich hatte demnach eine hinreichende Überzeugung<lb/>
gewonnen, daß Goethe's Ableitung des mehrgedachten<lb/>
Phaͤnomens von der Natur nicht als wahr beſtaͤtiget<lb/>
werde, und daß ſeine dieſen Gegenſtand behandelnden<lb/>
Paragraphen der Farbenlehre einer Umarbeitung dringend<lb/>
beduͤrften.</p><lb/><p>Etwas Ähnliches begegnete mir mit den farbigen<lb/>
Doppelſchatten, die mit Huͤlfe eines Kerzenlichtes Mor¬<lb/>
gens fruͤh bey Tagesanbruch, ſo wie Abends in der<lb/>
erſten Daͤmmerung, deßgleichen bey hellem Mondſchein,<lb/>
beſonders ſchoͤn geſehen werden. Daß hiebey der eine<lb/>
Schatten, naͤmlich der vom Kerzenlichte erleuchtete, gelbe,<lb/>
objectiver Art ſey und in die Lehre von den truͤben Mit¬<lb/>
teln gehoͤre, hat Goethe nicht ausgeſprochen, obgleich es<lb/>ſo iſt; den andern, vom ſchwachen Tages- oder Mond¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[79/0089]
Duͤnſte, einem Heerrauch aͤhnlich, und verbreitete uͤber
den Schnee einen durchaus gelben Schein; ſie wirkte
maͤchtig genug, um entſchiedene Schatten zu werfen,
und es haͤtte in dieſem Fall, nach Goethe's Lehre, das
friſcheſte Blau entſtehen muͤſſen. Es entſtand aber nicht,
die Schatten blieben grau.
Am naͤchſten Vormittage, bey bewoͤlkter Atmoſphaͤre,
blickte die Sonne von Zeit zu Zeit herdurch, und warf
auf dem Schnee entſchiedene Schatten. Allein ſie waren
ebenfalls nicht blau, ſondern grau. In beyden Faͤllen
fehlte der Wiederſchein des blauen Himmels, um dem
Schatten ſeine Faͤrbung zu geben.
Ich hatte demnach eine hinreichende Überzeugung
gewonnen, daß Goethe's Ableitung des mehrgedachten
Phaͤnomens von der Natur nicht als wahr beſtaͤtiget
werde, und daß ſeine dieſen Gegenſtand behandelnden
Paragraphen der Farbenlehre einer Umarbeitung dringend
beduͤrften.
Etwas Ähnliches begegnete mir mit den farbigen
Doppelſchatten, die mit Huͤlfe eines Kerzenlichtes Mor¬
gens fruͤh bey Tagesanbruch, ſo wie Abends in der
erſten Daͤmmerung, deßgleichen bey hellem Mondſchein,
beſonders ſchoͤn geſehen werden. Daß hiebey der eine
Schatten, naͤmlich der vom Kerzenlichte erleuchtete, gelbe,
objectiver Art ſey und in die Lehre von den truͤben Mit¬
teln gehoͤre, hat Goethe nicht ausgeſprochen, obgleich es
ſo iſt; den andern, vom ſchwachen Tages- oder Mond¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/89>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.