Wenn es nun problematisch erscheinen mag, daß Goethe in seiner Farbenlehre nicht gut Widersprüche vertragen konnte, während er bey seinen poetischen Wer¬ ken sich immer durchaus läßlich erwies und jede gegrün¬ dete Einwendung mit Dank aufnahm, so löset sich viel¬ leicht das Räthsel, wenn man bedenkt, daß ihm, als Poet, von außen her die völligste Genugthuung zu Theil ward, während er bey der Farbenlehre, diesem größten und schwierigsten aller seiner Werke, nichts als Tadel und Mißbilligung zu erfahren hatte. Ein halbes Leben hindurch tönte ihm der unverständigste Widerspruch von allen Seiten entgegen, und so war es denn wohl natür¬ lich, daß er sich immer in einer Art von gereiztem krie¬ gerischen Zustand, und zu leidenschaftlicher Opposition stets gerüstet, befinden mußte.
Es ging ihm in Bezug auf seine Farbenlehre, wie einer guten Mutter, die ein vortreffliches Kind nur desto mehr liebt, je weniger es von Andern er¬ kannt wird.
"Auf Alles was ich als Poet geleistet habe, pflegte er wiederholt zu sagen, bilde ich mir gar nichts ein. Es haben treffliche Dichter mit mir gelebt, es lebten noch Trefflichere vor mir, und es werden ihrer nach mir seyn. Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der Einzige bin, der das Rechte weiß, darauf thue ich mir etwas
Wenn es nun problematiſch erſcheinen mag, daß Goethe in ſeiner Farbenlehre nicht gut Widerſpruͤche vertragen konnte, waͤhrend er bey ſeinen poetiſchen Wer¬ ken ſich immer durchaus laͤßlich erwies und jede gegruͤn¬ dete Einwendung mit Dank aufnahm, ſo loͤſet ſich viel¬ leicht das Raͤthſel, wenn man bedenkt, daß ihm, als Poet, von außen her die voͤlligſte Genugthuung zu Theil ward, waͤhrend er bey der Farbenlehre, dieſem groͤßten und ſchwierigſten aller ſeiner Werke, nichts als Tadel und Mißbilligung zu erfahren hatte. Ein halbes Leben hindurch toͤnte ihm der unverſtaͤndigſte Widerſpruch von allen Seiten entgegen, und ſo war es denn wohl natuͤr¬ lich, daß er ſich immer in einer Art von gereiztem krie¬ geriſchen Zuſtand, und zu leidenſchaftlicher Oppoſition ſtets geruͤſtet, befinden mußte.
Es ging ihm in Bezug auf ſeine Farbenlehre, wie einer guten Mutter, die ein vortreffliches Kind nur deſto mehr liebt, je weniger es von Andern er¬ kannt wird.
„Auf Alles was ich als Poet geleiſtet habe, pflegte er wiederholt zu ſagen, bilde ich mir gar nichts ein. Es haben treffliche Dichter mit mir gelebt, es lebten noch Trefflichere vor mir, und es werden ihrer nach mir ſeyn. Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der ſchwierigen Wiſſenſchaft der Farbenlehre der Einzige bin, der das Rechte weiß, darauf thue ich mir etwas
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Wenn es nun problematiſch erſcheinen mag, daß
Goethe in ſeiner Farbenlehre nicht gut Widerſpruͤche
vertragen konnte, waͤhrend er bey ſeinen poetiſchen Wer¬
ken ſich immer durchaus laͤßlich erwies und jede gegruͤn¬
dete Einwendung mit Dank aufnahm, ſo loͤſet ſich viel¬
leicht das Raͤthſel, wenn man bedenkt, daß ihm, als
Poet, von außen her die voͤlligſte Genugthuung zu Theil
ward, waͤhrend er bey der Farbenlehre, dieſem groͤßten
und ſchwierigſten aller ſeiner Werke, nichts als Tadel
und Mißbilligung zu erfahren hatte. Ein halbes Leben
hindurch toͤnte ihm der unverſtaͤndigſte Widerſpruch von
allen Seiten entgegen, und ſo war es denn wohl natuͤr¬
lich, daß er ſich immer in einer Art von gereiztem krie¬
geriſchen Zuſtand, und zu leidenſchaftlicher Oppoſition
ſtets geruͤſtet, befinden mußte.
Es ging ihm in Bezug auf ſeine Farbenlehre,
wie einer guten Mutter, die ein vortreffliches Kind
nur deſto mehr liebt, je weniger es von Andern er¬
kannt wird.
„Auf Alles was ich als Poet geleiſtet habe, pflegte
er wiederholt zu ſagen, bilde ich mir gar nichts ein.
Es haben treffliche Dichter mit mir gelebt, es lebten
noch Trefflichere vor mir, und es werden ihrer nach
mir ſeyn. Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der
ſchwierigen Wiſſenſchaft der Farbenlehre der Einzige
bin, der das Rechte weiß, darauf thue ich mir etwas
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/96>, abgerufen am 23.11.2024.
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