"Genügte er mir nun in allen diesen mannigfaltigen Richtungen, so hatte ich gegründete Hoffnung, aus ihm einen sehr bedeutenden Schauspieler zu machen. War er in einigen Richtungen entschieden besser, als in andern, so merkte ich mir das Fach, für welches er sich vorzugs¬ weise eigne. Auch kannte ich jetzt seine schwachen Seiten und suchte bei ihm vor Allem dahin zu wirken, daß er diese stärke und ausbilde. Bemerkte ich Fehler des Dialekts und sogenannte Provincialismen, so drang ich darauf, daß er sie ablege, und empfahl ihm zu geselligem Umgange und freundlicher Uebung ein Mitglied der Bühne, das davon durchaus frei war. Dann fragte ich ihn, ob er tanzen und fechten könne, und wenn dieses nicht der Fall, so übergab ich ihn auf einige Zeit dem Tanz- und Fechtmeister."
"War er nun so weit, um auftreten zu können, so gab ich ihm zunächst solche Rollen, die seiner Indi¬ vidualität gemäß waren, und ich verlangte vorläufig nichts weiter, als daß er sich selber spiele. Erschien er mir nun etwas zu feuriger Natur, so gab ich ihm phleg¬ matische, erschien er mir aber zu ruhig und langsam, so gab ich ihm feurige, rasche Charaktere, damit er lerne, sich selber abzulegen und in eine fremde Persönlichkeit einzugehen."
Die Unterhaltung wendete sich auf die Besetzung von Stücken, wobei Goethe unter Anderem Folgendes aussprach, welches mir merkwürdig erschien.
III. 6
„Genügte er mir nun in allen dieſen mannigfaltigen Richtungen, ſo hatte ich gegründete Hoffnung, aus ihm einen ſehr bedeutenden Schauſpieler zu machen. War er in einigen Richtungen entſchieden beſſer, als in andern, ſo merkte ich mir das Fach, für welches er ſich vorzugs¬ weiſe eigne. Auch kannte ich jetzt ſeine ſchwachen Seiten und ſuchte bei ihm vor Allem dahin zu wirken, daß er dieſe ſtärke und ausbilde. Bemerkte ich Fehler des Dialekts und ſogenannte Provincialismen, ſo drang ich darauf, daß er ſie ablege, und empfahl ihm zu geſelligem Umgange und freundlicher Uebung ein Mitglied der Bühne, das davon durchaus frei war. Dann fragte ich ihn, ob er tanzen und fechten könne, und wenn dieſes nicht der Fall, ſo übergab ich ihn auf einige Zeit dem Tanz- und Fechtmeiſter.“
„War er nun ſo weit, um auftreten zu können, ſo gab ich ihm zunächſt ſolche Rollen, die ſeiner Indi¬ vidualität gemäß waren, und ich verlangte vorläufig nichts weiter, als daß er ſich ſelber ſpiele. Erſchien er mir nun etwas zu feuriger Natur, ſo gab ich ihm phleg¬ matiſche, erſchien er mir aber zu ruhig und langſam, ſo gab ich ihm feurige, raſche Charaktere, damit er lerne, ſich ſelber abzulegen und in eine fremde Perſönlichkeit einzugehen.“
Die Unterhaltung wendete ſich auf die Beſetzung von Stücken, wobei Goethe unter Anderem Folgendes ausſprach, welches mir merkwürdig erſchien.
III. 6
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„Genügte er mir nun in allen dieſen mannigfaltigen
Richtungen, ſo hatte ich gegründete Hoffnung, aus ihm
einen ſehr bedeutenden Schauſpieler zu machen. War
er in einigen Richtungen entſchieden beſſer, als in andern,
ſo merkte ich mir das Fach, für welches er ſich vorzugs¬
weiſe eigne. Auch kannte ich jetzt ſeine ſchwachen Seiten
und ſuchte bei ihm vor Allem dahin zu wirken, daß er
dieſe ſtärke und ausbilde. Bemerkte ich Fehler des
Dialekts und ſogenannte Provincialismen, ſo drang ich
darauf, daß er ſie ablege, und empfahl ihm zu geſelligem
Umgange und freundlicher Uebung ein Mitglied der
Bühne, das davon durchaus frei war. Dann fragte
ich ihn, ob er tanzen und fechten könne, und wenn dieſes
nicht der Fall, ſo übergab ich ihn auf einige Zeit dem
Tanz- und Fechtmeiſter.“
„War er nun ſo weit, um auftreten zu können, ſo
gab ich ihm zunächſt ſolche Rollen, die ſeiner Indi¬
vidualität gemäß waren, und ich verlangte vorläufig
nichts weiter, als daß er ſich ſelber ſpiele. Erſchien er
mir nun etwas zu feuriger Natur, ſo gab ich ihm phleg¬
matiſche, erſchien er mir aber zu ruhig und langſam,
ſo gab ich ihm feurige, raſche Charaktere, damit er lerne,
ſich ſelber abzulegen und in eine fremde Perſönlichkeit
einzugehen.“
Die Unterhaltung wendete ſich auf die Beſetzung
von Stücken, wobei Goethe unter Anderem Folgendes
ausſprach, welches mir merkwürdig erſchien.
III. 6
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/103>, abgerufen am 23.11.2024.
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