seines Gleichen hat, und man nicht satt wird ihm zu¬ zuhören.
Goethe, der in seinen Bestrebungen, die Natur zu ergründen, gern das All umfassen möchte, steht gleich¬ wohl gegen jeden einzelnen Naturforscher von Bedeu¬ tung, der ein ganzes Leben einer speciellen Richtung widmet, im Nachtheil. Bei diesem findet sich die Be¬ herrschung eines Reiches unendlichen Details, während Goethe mehr in der Anschauung allgemeiner großer Gesetze lebt. Daher kommt nun, daß Goethe, der immer irgend einer großen Synthese auf der Spur ist, dem aber, aus Mangel an Kenntniß der einzelnen Facta, die Bestätigung seiner Ahnungen fehlt, mit so entschiedener Liebe jedes Verhältniß zu bedeutenden Naturforschern ergreift und festhält. Denn bei ihnen findet er was ihm mangelt, bei ihnen findet er die Ergänzung dessen, was bei ihm selber lückenhaft ge¬ blieben. Er wird nun in wenigen Jahren achtzig Jahre alt, aber des Forschens und Erfahrens wird er nicht satt. In keiner seiner Richtungen ist er fertig und abgethan; er will immer weiter, immer weiter! immer lernen, immer lernen! und zeigt sich eben dadurch als ein Mensch von einer ewigen, ganz unverwüstlichen Jugend.
Diese Betrachtungen wurden bei mir diesen Mittag bei seiner lebhaften Unterhaltung mit D'Alton ange¬ regt. D'Alton sprach über die Nagethiere und die Bildungen und Modificationen ihrer Skelette, und
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ſeines Gleichen hat, und man nicht ſatt wird ihm zu¬ zuhören.
Goethe, der in ſeinen Beſtrebungen, die Natur zu ergründen, gern das All umfaſſen möchte, ſteht gleich¬ wohl gegen jeden einzelnen Naturforſcher von Bedeu¬ tung, der ein ganzes Leben einer ſpeciellen Richtung widmet, im Nachtheil. Bei dieſem findet ſich die Be¬ herrſchung eines Reiches unendlichen Details, während Goethe mehr in der Anſchauung allgemeiner großer Geſetze lebt. Daher kommt nun, daß Goethe, der immer irgend einer großen Syntheſe auf der Spur iſt, dem aber, aus Mangel an Kenntniß der einzelnen Facta, die Beſtätigung ſeiner Ahnungen fehlt, mit ſo entſchiedener Liebe jedes Verhältniß zu bedeutenden Naturforſchern ergreift und feſthält. Denn bei ihnen findet er was ihm mangelt, bei ihnen findet er die Ergänzung deſſen, was bei ihm ſelber lückenhaft ge¬ blieben. Er wird nun in wenigen Jahren achtzig Jahre alt, aber des Forſchens und Erfahrens wird er nicht ſatt. In keiner ſeiner Richtungen iſt er fertig und abgethan; er will immer weiter, immer weiter! immer lernen, immer lernen! und zeigt ſich eben dadurch als ein Menſch von einer ewigen, ganz unverwüſtlichen Jugend.
Dieſe Betrachtungen wurden bei mir dieſen Mittag bei ſeiner lebhaften Unterhaltung mit D'Alton ange¬ regt. D'Alton ſprach über die Nagethiere und die Bildungen und Modificationen ihrer Skelette, und
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ſeines Gleichen hat, und man nicht ſatt wird ihm zu¬
zuhören.
Goethe, der in ſeinen Beſtrebungen, die Natur zu
ergründen, gern das All umfaſſen möchte, ſteht gleich¬
wohl gegen jeden einzelnen Naturforſcher von Bedeu¬
tung, der ein ganzes Leben einer ſpeciellen Richtung
widmet, im Nachtheil. Bei dieſem findet ſich die Be¬
herrſchung eines Reiches unendlichen Details, während
Goethe mehr in der Anſchauung allgemeiner großer
Geſetze lebt. Daher kommt nun, daß Goethe, der
immer irgend einer großen Syntheſe auf der Spur iſt,
dem aber, aus Mangel an Kenntniß der einzelnen
Facta, die Beſtätigung ſeiner Ahnungen fehlt, mit ſo
entſchiedener Liebe jedes Verhältniß zu bedeutenden
Naturforſchern ergreift und feſthält. Denn bei ihnen
findet er was ihm mangelt, bei ihnen findet er die
Ergänzung deſſen, was bei ihm ſelber lückenhaft ge¬
blieben. Er wird nun in wenigen Jahren achtzig
Jahre alt, aber des Forſchens und Erfahrens wird er
nicht ſatt. In keiner ſeiner Richtungen iſt er fertig und
abgethan; er will immer weiter, immer weiter! immer
lernen, immer lernen! und zeigt ſich eben dadurch als ein
Menſch von einer ewigen, ganz unverwüſtlichen Jugend.
Dieſe Betrachtungen wurden bei mir dieſen Mittag
bei ſeiner lebhaften Unterhaltung mit D'Alton ange¬
regt. D'Alton ſprach über die Nagethiere und die
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/105>, abgerufen am 24.11.2024.
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