so leicht zu beantworten ist, worüber man jedoch seine Vermuthungen haben und der man wohl einigermaßen nahe kommen kann."
"Der Mensch ist ein einfaches Wesen. Und wie reich, mannigfaltig und unergründlich er auch seyn mag, so ist doch der Kreis seiner Zustände bald durchlaufen."
"Wären es Umstände gewesen, wie bei uns armen Deutschen, wo Lessing zwei bis drei, ich selber drei bis vier, und Schiller fünf bis sechs passable Theaterstücke geschrieben, so wäre auch wohl noch für einen vierten, fünften und sechsten tragischen Poeten Raum gewesen."
"Allein bei den Griechen und dieser Fülle ihrer Production, wo jeder der drei Großen über hundert oder nahe an hundert Stücke geschrieben hatte und die tragischen Süjets des Homer und der Heldensage zum Theil drei- bis viermal behandelt waren, bei solcher Fülle des Vorhandenen, sage ich, kann man wohl annehmen, daß Stoff und Gehalt nach und nach er¬ schöpft war und ein auf die drei großen folgender Dichter nicht mehr recht wußte, wo hinaus."
"Und im Grunde, wozu auch! -- War es denn nicht endlich für eine Weile genug! Und war das von Aeschylos, Sophokles und Euripides Hervorge¬ brachte nicht der Art und Tiefe, daß man es hören und immer wieder hören konnte, ohne es trivial zu machen und zu tödten? -- Sind doch diese auf uns
ſo leicht zu beantworten iſt, worüber man jedoch ſeine Vermuthungen haben und der man wohl einigermaßen nahe kommen kann.“
„Der Menſch iſt ein einfaches Weſen. Und wie reich, mannigfaltig und unergründlich er auch ſeyn mag, ſo iſt doch der Kreis ſeiner Zuſtände bald durchlaufen.“
„Wären es Umſtände geweſen, wie bei uns armen Deutſchen, wo Leſſing zwei bis drei, ich ſelber drei bis vier, und Schiller fünf bis ſechs paſſable Theaterſtücke geſchrieben, ſo wäre auch wohl noch für einen vierten, fünften und ſechsten tragiſchen Poeten Raum geweſen.“
„Allein bei den Griechen und dieſer Fülle ihrer Production, wo jeder der drei Großen über hundert oder nahe an hundert Stücke geſchrieben hatte und die tragiſchen Süjets des Homer und der Heldenſage zum Theil drei- bis viermal behandelt waren, bei ſolcher Fülle des Vorhandenen, ſage ich, kann man wohl annehmen, daß Stoff und Gehalt nach und nach er¬ ſchöpft war und ein auf die drei großen folgender Dichter nicht mehr recht wußte, wo hinaus.“
„Und im Grunde, wozu auch! — War es denn nicht endlich für eine Weile genug! Und war das von Aeſchylos, Sophokles und Euripides Hervorge¬ brachte nicht der Art und Tiefe, daß man es hören und immer wieder hören konnte, ohne es trivial zu machen und zu tödten? — Sind doch dieſe auf uns
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ſo leicht zu beantworten iſt, worüber man jedoch ſeine
Vermuthungen haben und der man wohl einigermaßen
nahe kommen kann.“
„Der Menſch iſt ein einfaches Weſen. Und wie
reich, mannigfaltig und unergründlich er auch ſeyn mag,
ſo iſt doch der Kreis ſeiner Zuſtände bald durchlaufen.“
„Wären es Umſtände geweſen, wie bei uns armen
Deutſchen, wo Leſſing zwei bis drei, ich ſelber drei bis
vier, und Schiller fünf bis ſechs paſſable Theaterſtücke
geſchrieben, ſo wäre auch wohl noch für einen vierten,
fünften und ſechsten tragiſchen Poeten Raum geweſen.“
„Allein bei den Griechen und dieſer Fülle ihrer
Production, wo jeder der drei Großen über hundert
oder nahe an hundert Stücke geſchrieben hatte und die
tragiſchen Süjets des Homer und der Heldenſage zum
Theil drei- bis viermal behandelt waren, bei ſolcher
Fülle des Vorhandenen, ſage ich, kann man wohl
annehmen, daß Stoff und Gehalt nach und nach er¬
ſchöpft war und ein auf die drei großen folgender
Dichter nicht mehr recht wußte, wo hinaus.“
„Und im Grunde, wozu auch! — War es denn
nicht endlich für eine Weile genug! Und war das
von Aeſchylos, Sophokles und Euripides Hervorge¬
brachte nicht der Art und Tiefe, daß man es hören
und immer wieder hören konnte, ohne es trivial zu
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/133>, abgerufen am 24.11.2024.
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