Theologen die vortrefflichsten Menschen seyn. Dieß ist aber keineswegs der Fall, und es sind solche Kenner der griechischen und lateinischen Schriften des Alterthums eben tüchtige Leute, oder auch arme Wichte, je nach den guten oder schlechten Eigenschaften, die Gott in ihre Natur gelegt, oder die sie von Vater und Mutter mitbrachten.
"Dagegen ist nichts zu erinnern, erwiederte Göthe; aber damit ist durchaus nicht gesagt, daß das Studium der Schriften des Alterthums für die Bildung eines Charakters überall ohne Wirkung wäre. Ein Lump bleibt freilich ein Lump, und eine kleinliche Natur wird durch einen selbst täglichen Verkehr mit der Großheit antiker Gesinnung um keinen Zoll größer werden. Allein ein edler Mensch, in dessen Seele Gott die Fähigkeit künftiger Charaktergröße und Geisteshoheit gelegt, wird durch die Bekanntschaft und den vertrau¬ lichen Umgang mit den erhabenen Naturen griechischer und römischer Vorzeit sich auf das Herrlichste entwickeln und mit jedem Tage zusehends zu ähnlicher Größe heranwachsen."
Mittwoch, den 18. April 1827.
Mit Göthe vor Tisch spazieren gefahren eine Strecke die Straße nach Erfurt hinaus. Es begegnete uns allerhand Frachtfuhrwerk mit Waaren für die Leipziger
III. 10
Theologen die vortrefflichſten Menſchen ſeyn. Dieß iſt aber keineswegs der Fall, und es ſind ſolche Kenner der griechiſchen und lateiniſchen Schriften des Alterthums eben tüchtige Leute, oder auch arme Wichte, je nach den guten oder ſchlechten Eigenſchaften, die Gott in ihre Natur gelegt, oder die ſie von Vater und Mutter mitbrachten.
„Dagegen iſt nichts zu erinnern, erwiederte Göthe; aber damit iſt durchaus nicht geſagt, daß das Studium der Schriften des Alterthums für die Bildung eines Charakters überall ohne Wirkung wäre. Ein Lump bleibt freilich ein Lump, und eine kleinliche Natur wird durch einen ſelbſt täglichen Verkehr mit der Großheit antiker Geſinnung um keinen Zoll größer werden. Allein ein edler Menſch, in deſſen Seele Gott die Fähigkeit künftiger Charaktergröße und Geiſteshoheit gelegt, wird durch die Bekanntſchaft und den vertrau¬ lichen Umgang mit den erhabenen Naturen griechiſcher und römiſcher Vorzeit ſich auf das Herrlichſte entwickeln und mit jedem Tage zuſehends zu ähnlicher Größe heranwachſen.“
Mittwoch, den 18. April 1827.
Mit Göthe vor Tiſch ſpazieren gefahren eine Strecke die Straße nach Erfurt hinaus. Es begegnete uns allerhand Frachtfuhrwerk mit Waaren für die Leipziger
III. 10
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Theologen die vortrefflichſten Menſchen ſeyn. Dieß iſt
aber keineswegs der Fall, und es ſind ſolche Kenner
der griechiſchen und lateiniſchen Schriften des Alterthums
eben tüchtige Leute, oder auch arme Wichte, je nach
den guten oder ſchlechten Eigenſchaften, die Gott in
ihre Natur gelegt, oder die ſie von Vater und Mutter
mitbrachten.
„Dagegen iſt nichts zu erinnern, erwiederte Göthe;
aber damit iſt durchaus nicht geſagt, daß das Studium
der Schriften des Alterthums für die Bildung eines
Charakters überall ohne Wirkung wäre. Ein Lump
bleibt freilich ein Lump, und eine kleinliche Natur wird
durch einen ſelbſt täglichen Verkehr mit der Großheit
antiker Geſinnung um keinen Zoll größer werden.
Allein ein edler Menſch, in deſſen Seele Gott die
Fähigkeit künftiger Charaktergröße und Geiſteshoheit
gelegt, wird durch die Bekanntſchaft und den vertrau¬
lichen Umgang mit den erhabenen Naturen griechiſcher
und römiſcher Vorzeit ſich auf das Herrlichſte entwickeln
und mit jedem Tage zuſehends zu ähnlicher Größe
heranwachſen.“
Mittwoch, den 18. April 1827.
Mit Göthe vor Tiſch ſpazieren gefahren eine Strecke
die Straße nach Erfurt hinaus. Es begegnete uns
allerhand Frachtfuhrwerk mit Waaren für die Leipziger
III. 10
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/167>, abgerufen am 25.11.2024.
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