Darauf bei Tisch, waren wir sehr heiter. Der junge Goethe hatte die Helena seines Vaters gelesen und sprach darüber mit vieler Einsicht eines natürlichen Verstandes. Ueber den im antiken Sinne gedichteten Theil ließ er eine entschiedene Freude blicken, während ihm die opernartige romantische Hälfte, wie man mer¬ ken konnte, beim Lesen nicht lebendig geworden.
"Du hast im Grunde recht, und es ist ein eigenes Ding, sagte Goethe. Man kann zwar nicht sagen, daß das Vernünftige immer schön sey; allein das Schöne ist doch immer vernünftig, oder wenigstens es sollte so seyn. Der antike Theil gefällt dir aus dem Grunde, weil er faßlich ist, weil du die einzelnen Theile über¬ sehen und du meiner Vernunft mit der deinigen bei¬ kommen kannst. In der zweiten Hälfte ist zwar auch allerlei Verstand und Vernunft gebraucht und verarbeitet worden; allein es ist schwer und erfordert einiges Studium, ehe man den Dingen beikommt und ehe man mit eigener Vernunft die Vernunft des Autors wieder herausfindet."
Goethe sprach darauf mit allerlei Lob und Aner¬ kennung über die Gedichte der Madame Tastü, mit deren Lectüre er sich in diesen Tagen beschäftiget.
Als die Uebrigen gingen und ich mich auch anschickte zu gehen, bat er mich, noch ein wenig zu bleiben. Er ließ ein Portefeuille mit Kupferstichen und Radierungen Niederländischer Meister herbeibringen.
Darauf bei Tiſch, waren wir ſehr heiter. Der junge Goethe hatte die Helena ſeines Vaters geleſen und ſprach darüber mit vieler Einſicht eines natürlichen Verſtandes. Ueber den im antiken Sinne gedichteten Theil ließ er eine entſchiedene Freude blicken, während ihm die opernartige romantiſche Hälfte, wie man mer¬ ken konnte, beim Leſen nicht lebendig geworden.
„Du haſt im Grunde recht, und es iſt ein eigenes Ding, ſagte Goethe. Man kann zwar nicht ſagen, daß das Vernünftige immer ſchön ſey; allein das Schöne iſt doch immer vernünftig, oder wenigſtens es ſollte ſo ſeyn. Der antike Theil gefällt dir aus dem Grunde, weil er faßlich iſt, weil du die einzelnen Theile über¬ ſehen und du meiner Vernunft mit der deinigen bei¬ kommen kannſt. In der zweiten Hälfte iſt zwar auch allerlei Verſtand und Vernunft gebraucht und verarbeitet worden; allein es iſt ſchwer und erfordert einiges Studium, ehe man den Dingen beikommt und ehe man mit eigener Vernunft die Vernunft des Autors wieder herausfindet.“
Goethe ſprach darauf mit allerlei Lob und Aner¬ kennung über die Gedichte der Madame Taſtü, mit deren Lectüre er ſich in dieſen Tagen beſchäftiget.
Als die Uebrigen gingen und ich mich auch anſchickte zu gehen, bat er mich, noch ein wenig zu bleiben. Er ließ ein Portefeuille mit Kupferſtichen und Radierungen Niederländiſcher Meiſter herbeibringen.
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Darauf bei Tiſch, waren wir ſehr heiter. Der junge
Goethe hatte die Helena ſeines Vaters geleſen und
ſprach darüber mit vieler Einſicht eines natürlichen
Verſtandes. Ueber den im antiken Sinne gedichteten
Theil ließ er eine entſchiedene Freude blicken, während
ihm die opernartige romantiſche Hälfte, wie man mer¬
ken konnte, beim Leſen nicht lebendig geworden.
„Du haſt im Grunde recht, und es iſt ein eigenes
Ding, ſagte Goethe. Man kann zwar nicht ſagen, daß
das Vernünftige immer ſchön ſey; allein das Schöne
iſt doch immer vernünftig, oder wenigſtens es ſollte ſo
ſeyn. Der antike Theil gefällt dir aus dem Grunde,
weil er faßlich iſt, weil du die einzelnen Theile über¬
ſehen und du meiner Vernunft mit der deinigen bei¬
kommen kannſt. In der zweiten Hälfte iſt zwar auch
allerlei Verſtand und Vernunft gebraucht und verarbeitet
worden; allein es iſt ſchwer und erfordert einiges
Studium, ehe man den Dingen beikommt und ehe man
mit eigener Vernunft die Vernunft des Autors wieder
herausfindet.“
Goethe ſprach darauf mit allerlei Lob und Aner¬
kennung über die Gedichte der Madame Taſtü, mit
deren Lectüre er ſich in dieſen Tagen beſchäftiget.
Als die Uebrigen gingen und ich mich auch anſchickte
zu gehen, bat er mich, noch ein wenig zu bleiben. Er
ließ ein Portefeuille mit Kupferſtichen und Radierungen
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/173>, abgerufen am 25.11.2024.
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