reicher, unterrichteter und von Herzen vortrefflicher wä¬ ren, als andere Leute auch.
"In solchen Dingen, mein Bester, erwiederte Goethe, liegt's nicht. Es liegt auch nicht in der Geburt und im Reichthum. Sondern es liegt darin, daß sie eben die Courage haben, das zu seyn wozu die Natur sie gemacht hat. Es ist an ihnen nichts verbildet und verbogen, es sind an ihnen keine Halbheiten und Schief¬ heiten; sondern, wie sie auch sind, es sind immer durchaus complete Menschen. Auch complete Narren mitunter, das gebe ich von Herzen zu; allein es ist doch was und hat doch auf der Wage der Natur immer einiges Gewicht."
"Das Glück der persönlichen Freiheit, das Bewußt¬ seyn des englischen Namens und welche Bedeutung ihm bei andern Nationen beiwohnt, kommt schon den Kindern zu Gute, so daß sie sowohl in der Familie, als in den Unterrichtsanstalten, mit weit größerer Ach¬ tung behandelt werden und einer weit glücklich-freieren Entwickelung genießen, als bei uns Deutschen."
"Ich brauche nur in unserm lieben Weimar zum Fenster hinauszusehen, um gewahr zu werden, wie es bei uns steht. Als neulich der Schnee lag und meine Nachbarskinder ihre kleinen Schlitten auf der Straße probiren wollten, sogleich war ein Polizeidiener nahe, und ich sah die armen Dingerchen fliehen, so schnell sie konnten. Jetzt, wo die Frühlingssonne sie aus den
reicher, unterrichteter und von Herzen vortrefflicher wä¬ ren, als andere Leute auch.
„In ſolchen Dingen, mein Beſter, erwiederte Goethe, liegt's nicht. Es liegt auch nicht in der Geburt und im Reichthum. Sondern es liegt darin, daß ſie eben die Courage haben, das zu ſeyn wozu die Natur ſie gemacht hat. Es iſt an ihnen nichts verbildet und verbogen, es ſind an ihnen keine Halbheiten und Schief¬ heiten; ſondern, wie ſie auch ſind, es ſind immer durchaus complete Menſchen. Auch complete Narren mitunter, das gebe ich von Herzen zu; allein es iſt doch was und hat doch auf der Wage der Natur immer einiges Gewicht.“
„Das Glück der perſönlichen Freiheit, das Bewußt¬ ſeyn des engliſchen Namens und welche Bedeutung ihm bei andern Nationen beiwohnt, kommt ſchon den Kindern zu Gute, ſo daß ſie ſowohl in der Familie, als in den Unterrichtsanſtalten, mit weit größerer Ach¬ tung behandelt werden und einer weit glücklich-freieren Entwickelung genießen, als bei uns Deutſchen.“
„Ich brauche nur in unſerm lieben Weimar zum Fenſter hinauszuſehen, um gewahr zu werden, wie es bei uns ſteht. Als neulich der Schnee lag und meine Nachbarskinder ihre kleinen Schlitten auf der Straße probiren wollten, ſogleich war ein Polizeidiener nahe, und ich ſah die armen Dingerchen fliehen, ſo ſchnell ſie konnten. Jetzt, wo die Frühlingsſonne ſie aus den
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0272"n="250"/>
reicher, unterrichteter und von Herzen vortrefflicher wä¬<lb/>
ren, als andere Leute auch.</p><lb/><p>„In ſolchen Dingen, mein Beſter, erwiederte Goethe,<lb/>
liegt's nicht. Es liegt auch nicht in der Geburt und<lb/>
im Reichthum. Sondern es liegt darin, daß ſie eben<lb/>
die Courage haben, das zu ſeyn wozu die Natur ſie<lb/>
gemacht hat. Es iſt an ihnen nichts verbildet und<lb/>
verbogen, es ſind an ihnen keine Halbheiten und Schief¬<lb/>
heiten; ſondern, wie ſie auch ſind, es ſind immer<lb/>
durchaus complete Menſchen. Auch complete Narren<lb/>
mitunter, das gebe ich von Herzen zu; allein es iſt doch<lb/>
was und hat doch auf der Wage der Natur immer<lb/>
einiges Gewicht.“</p><lb/><p>„Das Glück der perſönlichen Freiheit, das Bewußt¬<lb/>ſeyn des engliſchen Namens und welche Bedeutung<lb/>
ihm bei andern Nationen beiwohnt, kommt ſchon den<lb/>
Kindern zu Gute, ſo daß ſie ſowohl in der Familie,<lb/>
als in den Unterrichtsanſtalten, mit weit größerer Ach¬<lb/>
tung behandelt werden und einer weit glücklich-freieren<lb/>
Entwickelung genießen, als bei uns Deutſchen.“</p><lb/><p>„Ich brauche nur in unſerm lieben Weimar zum<lb/>
Fenſter hinauszuſehen, um gewahr zu werden, wie es<lb/>
bei uns ſteht. Als neulich der Schnee lag und meine<lb/>
Nachbarskinder ihre kleinen Schlitten auf der Straße<lb/>
probiren wollten, ſogleich war ein Polizeidiener nahe,<lb/>
und ich ſah die armen Dingerchen fliehen, ſo ſchnell ſie<lb/>
konnten. Jetzt, wo die Frühlingsſonne ſie aus den<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[250/0272]
reicher, unterrichteter und von Herzen vortrefflicher wä¬
ren, als andere Leute auch.
„In ſolchen Dingen, mein Beſter, erwiederte Goethe,
liegt's nicht. Es liegt auch nicht in der Geburt und
im Reichthum. Sondern es liegt darin, daß ſie eben
die Courage haben, das zu ſeyn wozu die Natur ſie
gemacht hat. Es iſt an ihnen nichts verbildet und
verbogen, es ſind an ihnen keine Halbheiten und Schief¬
heiten; ſondern, wie ſie auch ſind, es ſind immer
durchaus complete Menſchen. Auch complete Narren
mitunter, das gebe ich von Herzen zu; allein es iſt doch
was und hat doch auf der Wage der Natur immer
einiges Gewicht.“
„Das Glück der perſönlichen Freiheit, das Bewußt¬
ſeyn des engliſchen Namens und welche Bedeutung
ihm bei andern Nationen beiwohnt, kommt ſchon den
Kindern zu Gute, ſo daß ſie ſowohl in der Familie,
als in den Unterrichtsanſtalten, mit weit größerer Ach¬
tung behandelt werden und einer weit glücklich-freieren
Entwickelung genießen, als bei uns Deutſchen.“
„Ich brauche nur in unſerm lieben Weimar zum
Fenſter hinauszuſehen, um gewahr zu werden, wie es
bei uns ſteht. Als neulich der Schnee lag und meine
Nachbarskinder ihre kleinen Schlitten auf der Straße
probiren wollten, ſogleich war ein Polizeidiener nahe,
und ich ſah die armen Dingerchen fliehen, ſo ſchnell ſie
konnten. Jetzt, wo die Frühlingsſonne ſie aus den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/272>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.