Der heutige Tag war in Bezug auf Goethe noch sehr beunruhigend, indem diesen Mittag die Besserung nicht erfolgte wie gestern. In einem Anfall von Schwäche sagte er zu seiner Schwiegertochter: "Ich fühle, daß der Moment gekommen, wo in mir der Kampf zwischen Leben und Tod beginnt."
Doch hatte der Kranke am Abend sein volles geistiges Bewußtseyn und zeigte schon wieder einigen scherzhaften Uebermuth. "Ihr seyd zu furchtsam mit Euren Mitteln, sagte er zu Rehbein, Ihr schont mich zu sehr! -- Wenn man einen Kranken vor sich hat, wie ich es bin, so muß man ein wenig Napoleonisch mit ihm zu Werke gehen." Er trank darauf eine Tasse eines Decocts von Arnica, welche gestern, im gefährlichsten Moment von Huschke angewendet, die glückliche Krisis bewirkt hatte. Goethe machte eine gracieuse Beschreibung dieser Pflanze und erhob ihre energischen Wirkungen in den Himmel. -- Man sagte ihm, daß die Aerzte nicht hätten zugeben wollen, daß der Großherzog ihn sehe. "Wäre ich der Großherzog, rief Goethe, so würde ich viel gefragt und mich viel um Euch bekümmert haben."
In einem Augenblick, wo er sich besser befand und wo seine Brust freier zu seyn schien, sprach er mit Leichtigkeit und klarem Geiste, worauf Rehbein einem der Nahestehenden in's Ohr flisterte: "Eine bessere Respiration pflegt eine bessere Inspiration mit sich
Dienstag, den 24. Februar 1823*.
Der heutige Tag war in Bezug auf Goethe noch ſehr beunruhigend, indem dieſen Mittag die Beſſerung nicht erfolgte wie geſtern. In einem Anfall von Schwäche ſagte er zu ſeiner Schwiegertochter: „Ich fühle, daß der Moment gekommen, wo in mir der Kampf zwiſchen Leben und Tod beginnt.“
Doch hatte der Kranke am Abend ſein volles geiſtiges Bewußtſeyn und zeigte ſchon wieder einigen ſcherzhaften Uebermuth. „Ihr ſeyd zu furchtſam mit Euren Mitteln, ſagte er zu Rehbein, Ihr ſchont mich zu ſehr! — Wenn man einen Kranken vor ſich hat, wie ich es bin, ſo muß man ein wenig Napoleoniſch mit ihm zu Werke gehen.“ Er trank darauf eine Taſſe eines Decocts von Arnica, welche geſtern, im gefährlichſten Moment von Huſchke angewendet, die glückliche Kriſis bewirkt hatte. Goethe machte eine gracieuſe Beſchreibung dieſer Pflanze und erhob ihre energiſchen Wirkungen in den Himmel. — Man ſagte ihm, daß die Aerzte nicht hätten zugeben wollen, daß der Großherzog ihn ſehe. „Wäre ich der Großherzog, rief Goethe, ſo würde ich viel gefragt und mich viel um Euch bekümmert haben.“
In einem Augenblick, wo er ſich beſſer befand und wo ſeine Bruſt freier zu ſeyn ſchien, ſprach er mit Leichtigkeit und klarem Geiſte, worauf Rehbein einem der Naheſtehenden in's Ohr fliſterte: „Eine beſſere Reſpiration pflegt eine beſſere Inſpiration mit ſich
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Dienstag, den 24. Februar 1823*.
Der heutige Tag war in Bezug auf Goethe noch
ſehr beunruhigend, indem dieſen Mittag die Beſſerung
nicht erfolgte wie geſtern. In einem Anfall von Schwäche
ſagte er zu ſeiner Schwiegertochter: „Ich fühle, daß
der Moment gekommen, wo in mir der Kampf zwiſchen
Leben und Tod beginnt.“
Doch hatte der Kranke am Abend ſein volles geiſtiges
Bewußtſeyn und zeigte ſchon wieder einigen ſcherzhaften
Uebermuth. „Ihr ſeyd zu furchtſam mit Euren Mitteln,
ſagte er zu Rehbein, Ihr ſchont mich zu ſehr! — Wenn
man einen Kranken vor ſich hat, wie ich es bin, ſo
muß man ein wenig Napoleoniſch mit ihm zu Werke
gehen.“ Er trank darauf eine Taſſe eines Decocts
von Arnica, welche geſtern, im gefährlichſten Moment
von Huſchke angewendet, die glückliche Kriſis bewirkt
hatte. Goethe machte eine gracieuſe Beſchreibung dieſer
Pflanze und erhob ihre energiſchen Wirkungen in den
Himmel. — Man ſagte ihm, daß die Aerzte nicht hätten
zugeben wollen, daß der Großherzog ihn ſehe. „Wäre
ich der Großherzog, rief Goethe, ſo würde ich viel
gefragt und mich viel um Euch bekümmert haben.“
In einem Augenblick, wo er ſich beſſer befand und
wo ſeine Bruſt freier zu ſeyn ſchien, ſprach er mit
Leichtigkeit und klarem Geiſte, worauf Rehbein einem
der Naheſtehenden in's Ohr fliſterte: „Eine beſſere
Reſpiration pflegt eine beſſere Inſpiration mit ſich
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/34>, abgerufen am 21.11.2024.
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