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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Wir sprachen über Victor Hugo. "Er ist ein
schönes Talent, sagte Goethe; aber ganz in der unselig-
romantischen Richtung seiner Zeit befangen, wodurch er
denn, neben dem Schönen, auch das Allerunerträglichste
und Häßlichste darzustellen verführt wird. Ich habe in
diesen Tagen seine Notre Dame de Paris gelesen und
nicht geringe Geduld gebraucht, um die Qualen aus¬
zustehen, die diese Lectüre mir gemacht hat. Es ist das
abscheulichste Buch, das je geschrieben worden! Auch
wird man für die Folterqualen, die man auszustehen
hat, nicht einmal durch die Freude entschädigt, die man
etwa an der dargestellten Wahrheit menschlicher Natur
und menschlicher Charaktere empfinden könnte. Sein
Buch ist im Gegentheil ohne alle Natur und ohne alle
Wahrheit! Seine vorgeführten sogenannten handelnden
Personen sind keine Menschen mit lebendigem Fleisch
und Blut, sondern elende hölzerne Puppen, mit denen
er umspringt wie er Belieben hat, und die er allerlei
Verzerrungen und Fratzen machen läßt, so wie er es
für seine beabsichtigten Effecte eben braucht. Was ist
das aber für eine Zeit, die ein solches Buch nicht
allein möglich macht und hervorruft, sondern es sogar
ganz erträglich und ergötzlich findet! --"


Ich begleitete mit dem Prinzen Se. Majestät den

23*

Wir ſprachen über Victor Hugo. „Er iſt ein
ſchönes Talent, ſagte Goethe; aber ganz in der unſelig-
romantiſchen Richtung ſeiner Zeit befangen, wodurch er
denn, neben dem Schönen, auch das Allerunerträglichſte
und Häßlichſte darzuſtellen verführt wird. Ich habe in
dieſen Tagen ſeine Notre Dame de Paris geleſen und
nicht geringe Geduld gebraucht, um die Qualen aus¬
zuſtehen, die dieſe Lectüre mir gemacht hat. Es iſt das
abſcheulichſte Buch, das je geſchrieben worden! Auch
wird man für die Folterqualen, die man auszuſtehen
hat, nicht einmal durch die Freude entſchädigt, die man
etwa an der dargeſtellten Wahrheit menſchlicher Natur
und menſchlicher Charaktere empfinden könnte. Sein
Buch iſt im Gegentheil ohne alle Natur und ohne alle
Wahrheit! Seine vorgeführten ſogenannten handelnden
Perſonen ſind keine Menſchen mit lebendigem Fleiſch
und Blut, ſondern elende hölzerne Puppen, mit denen
er umſpringt wie er Belieben hat, und die er allerlei
Verzerrungen und Fratzen machen läßt, ſo wie er es
für ſeine beabſichtigten Effecte eben braucht. Was iſt
das aber für eine Zeit, die ein ſolches Buch nicht
allein möglich macht und hervorruft, ſondern es ſogar
ganz erträglich und ergötzlich findet! —“


Ich begleitete mit dem Prinzen Se. Majeſtät den

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[355/0377] Sonntag, den 27. Juni 1831*. Wir ſprachen über Victor Hugo. „Er iſt ein ſchönes Talent, ſagte Goethe; aber ganz in der unſelig- romantiſchen Richtung ſeiner Zeit befangen, wodurch er denn, neben dem Schönen, auch das Allerunerträglichſte und Häßlichſte darzuſtellen verführt wird. Ich habe in dieſen Tagen ſeine Notre Dame de Paris geleſen und nicht geringe Geduld gebraucht, um die Qualen aus¬ zuſtehen, die dieſe Lectüre mir gemacht hat. Es iſt das abſcheulichſte Buch, das je geſchrieben worden! Auch wird man für die Folterqualen, die man auszuſtehen hat, nicht einmal durch die Freude entſchädigt, die man etwa an der dargeſtellten Wahrheit menſchlicher Natur und menſchlicher Charaktere empfinden könnte. Sein Buch iſt im Gegentheil ohne alle Natur und ohne alle Wahrheit! Seine vorgeführten ſogenannten handelnden Perſonen ſind keine Menſchen mit lebendigem Fleiſch und Blut, ſondern elende hölzerne Puppen, mit denen er umſpringt wie er Belieben hat, und die er allerlei Verzerrungen und Fratzen machen läßt, ſo wie er es für ſeine beabſichtigten Effecte eben braucht. Was iſt das aber für eine Zeit, die ein ſolches Buch nicht allein möglich macht und hervorruft, ſondern es ſogar ganz erträglich und ergötzlich findet! —“ Mittwoch, den 14. Juli 1831*. Ich begleitete mit dem Prinzen Se. Majeſtät den 23*

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/377>, abgerufen am 30.11.2024.