ironisches Lächeln um seine Lippen spielte. Die Züge seines schönen Gesichtes waren imposanter als je.
Mittwoch, den 31. December 1823.
Bei Goethe zu Tische, in mancherlei Gesprächen. Er zeigte mir ein Portefeuille mit Handzeichnungen, unter denen besonders die Anfänge von Heinrich Füßli merkwürdig.
Wir sprachen sodann über religiöse Dinge und den Mißbrauch des göttlichen Namens.
"Die Leute tractiren ihn, sagte Goethe, als wäre das unbegreifliche, gar nicht auszudenkende höchste Wesen nicht viel mehr, als ihres Gleichen. Sie würden sonst nicht sagen: Der Herr Gott, der liebe Gott, der gute Gott. Er wird ihnen, besonders den Geistlichen, die ihn täglich im Munde führen, zu einer Phrase, zu einem bloßen Namen, wobei sie sich auch gar nichts denken. Wären sie aber durchdrungen von seiner Größe, sie würden verstummen und ihn vor Verehrung nicht nennen mögen."
ironiſches Lächeln um ſeine Lippen ſpielte. Die Züge ſeines ſchönen Geſichtes waren impoſanter als je.
Mittwoch, den 31. December 1823.
Bei Goethe zu Tiſche, in mancherlei Geſprächen. Er zeigte mir ein Portefeuille mit Handzeichnungen, unter denen beſonders die Anfänge von Heinrich Füßli merkwürdig.
Wir ſprachen ſodann über religiöſe Dinge und den Mißbrauch des göttlichen Namens.
„Die Leute tractiren ihn, ſagte Goethe, als wäre das unbegreifliche, gar nicht auszudenkende höchſte Weſen nicht viel mehr, als ihres Gleichen. Sie würden ſonſt nicht ſagen: Der Herr Gott, der liebe Gott, der gute Gott. Er wird ihnen, beſonders den Geiſtlichen, die ihn täglich im Munde führen, zu einer Phraſe, zu einem bloßen Namen, wobei ſie ſich auch gar nichts denken. Wären ſie aber durchdrungen von ſeiner Größe, ſie würden verſtummen und ihn vor Verehrung nicht nennen mögen.“
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ironiſches Lächeln um ſeine Lippen ſpielte. Die Züge
ſeines ſchönen Geſichtes waren impoſanter als je.
Mittwoch, den 31. December 1823.
Bei Goethe zu Tiſche, in mancherlei Geſprächen.
Er zeigte mir ein Portefeuille mit Handzeichnungen,
unter denen beſonders die Anfänge von Heinrich Füßli
merkwürdig.
Wir ſprachen ſodann über religiöſe Dinge und den
Mißbrauch des göttlichen Namens.
„Die Leute tractiren ihn, ſagte Goethe, als wäre
das unbegreifliche, gar nicht auszudenkende höchſte Weſen
nicht viel mehr, als ihres Gleichen. Sie würden ſonſt
nicht ſagen: Der Herr Gott, der liebe Gott, der
gute Gott. Er wird ihnen, beſonders den Geiſtlichen,
die ihn täglich im Munde führen, zu einer Phraſe, zu
einem bloßen Namen, wobei ſie ſich auch gar nichts
denken. Wären ſie aber durchdrungen von ſeiner Größe,
ſie würden verſtummen und ihn vor Verehrung nicht
nennen mögen.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/52>, abgerufen am 23.11.2024.
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