[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.Vergötterung der Musik dagegen können die "Kunstfreunde" ihrem wahren Instinkt, der Lust am Sinnlichen, treu bleiben und doch dabei ihr künstlerisches Gewissen befriedigen. Dem reinen Gedanken diesem ohnehin lästigen, überflüssigen Kameraden bringt man nicht gern ein Opfer; auch nicht der denkenden Phantasie, denn auch diese erhebt unangenehme Ansprüche an die Bequemlichkeit. Zehn Mark für ein Diner aber hat man allemal übrig, und was man dem Gaumenschmaus bewilligt, das gönnt man doppelt freudig dem Ohrenschmaus, da sich bei diesem die oben geschilderten Nebenvorteile - Beruhigung des ästhetischen Gewissens - herausstellen. Wären diese Nebenvorteile mit dem Diner verknüpft, so wäre Diniren künftig die populärste und am meisten vergötterte Kunst. Macht es zur Mode, auserlesene Menus aus ästhetischen Gesichtspunkten durchzuspeisen, gebt den Leuten die Möglichkeit, von der stimmungsvollen Composition des Ragoauts, von der klassischen Structur der Pasteten und dem stilgerechten Arom des Fruchteises zu faseln, so wird vom Nordmeer bis zu den Alpen unter der heuchlerischen Maske des Kunstinteresses - sit venia verbo - gefressen werden, daß es nur so eine Art hat! Jede Indigestion gilt alsdann für ein Zeugniß artistischen Hochsinns; jeder Katzenjammer für die leuchtende Aureole des Auserwählten. Hübschen Köchinnen wird man die Pferde ausspannen; verdienstvolle Saucenkünstler werden in Lorbeer ersticken; Pastetenbäcker und Rotisseurs geben Gastrollen zu tausend Dollars den Abend. Da dies leider noch nicht der Fall ist, so übt einstweilen der wohlfeile Musik-Enthusiasmus jene Tyrannis aus, die wir als conventionelle Rücksichtslosigkeit gegen die Schwesterkünste bezeichnet haben. Innerhalb der allgemeinen musikalischen Selbstüberhebung Vergötterung der Musik dagegen können die „Kunstfreunde“ ihrem wahren Instinkt, der Lust am Sinnlichen, treu bleiben und doch dabei ihr künstlerisches Gewissen befriedigen. Dem reinen Gedanken diesem ohnehin lästigen, überflüssigen Kameraden bringt man nicht gern ein Opfer; auch nicht der denkenden Phantasie, denn auch diese erhebt unangenehme Ansprüche an die Bequemlichkeit. Zehn Mark für ein Diner aber hat man allemal übrig, und was man dem Gaumenschmaus bewilligt, das gönnt man doppelt freudig dem Ohrenschmaus, da sich bei diesem die oben geschilderten Nebenvorteile – Beruhigung des ästhetischen Gewissens – herausstellen. Wären diese Nebenvorteile mit dem Diner verknüpft, so wäre Diniren künftig die populärste und am meisten vergötterte Kunst. Macht es zur Mode, auserlesene Menus aus ästhetischen Gesichtspunkten durchzuspeisen, gebt den Leuten die Möglichkeit, von der stimmungsvollen Composition des Ragoûts, von der klassischen Structur der Pasteten und dem stilgerechten Arom des Fruchteises zu faseln, so wird vom Nordmeer bis zu den Alpen unter der heuchlerischen Maske des Kunstinteresses – sit venia verbo – gefressen werden, daß es nur so eine Art hat! Jede Indigestion gilt alsdann für ein Zeugniß artistischen Hochsinns; jeder Katzenjammer für die leuchtende Aureole des Auserwählten. Hübschen Köchinnen wird man die Pferde ausspannen; verdienstvolle Saucenkünstler werden in Lorbeer ersticken; Pastetenbäcker und Rôtisseurs geben Gastrollen zu tausend Dollars den Abend. Da dies leider noch nicht der Fall ist, so übt einstweilen der wohlfeile Musik-Enthusiasmus jene Tyrannis aus, die wir als conventionelle Rücksichtslosigkeit gegen die Schwesterkünste bezeichnet haben. Innerhalb der allgemeinen musikalischen Selbstüberhebung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0020" n="18"/> Vergötterung der Musik dagegen können die „Kunstfreunde“ ihrem wahren Instinkt, der Lust am Sinnlichen, treu bleiben und doch dabei ihr künstlerisches Gewissen befriedigen. Dem reinen Gedanken diesem ohnehin lästigen, überflüssigen Kameraden bringt man nicht gern ein Opfer; auch nicht der denkenden Phantasie, denn auch diese erhebt unangenehme Ansprüche an die Bequemlichkeit. Zehn Mark für ein Diner aber hat man allemal übrig, und was man dem Gaumenschmaus bewilligt, das gönnt man doppelt freudig dem Ohrenschmaus, da sich bei diesem die oben geschilderten Nebenvorteile – Beruhigung des ästhetischen Gewissens – herausstellen. Wären diese Nebenvorteile mit dem Diner verknüpft, so wäre Diniren künftig die populärste und am meisten vergötterte Kunst. Macht es zur Mode, auserlesene Menus aus ästhetischen Gesichtspunkten durchzuspeisen, gebt den Leuten die Möglichkeit, von der stimmungsvollen Composition des Ragoûts, von der klassischen Structur der Pasteten und dem stilgerechten Arom des Fruchteises zu faseln, so wird vom Nordmeer bis zu den Alpen unter der heuchlerischen Maske des Kunstinteresses – <hi rendition="#aq">sit venia verbo</hi> – gefressen werden, daß es nur so eine Art hat! Jede Indigestion gilt alsdann für ein Zeugniß artistischen Hochsinns; jeder Katzenjammer für die leuchtende Aureole des Auserwählten. Hübschen Köchinnen wird man die Pferde ausspannen; verdienstvolle Saucenkünstler werden in Lorbeer ersticken; Pastetenbäcker und Rôtisseurs geben Gastrollen zu tausend Dollars den Abend. Da dies leider noch nicht der Fall ist, so übt einstweilen der wohlfeile Musik-Enthusiasmus jene Tyrannis aus, die wir als conventionelle Rücksichtslosigkeit gegen die Schwesterkünste bezeichnet haben.</p> <p>Innerhalb der allgemeinen musikalischen Selbstüberhebung </p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0020]
Vergötterung der Musik dagegen können die „Kunstfreunde“ ihrem wahren Instinkt, der Lust am Sinnlichen, treu bleiben und doch dabei ihr künstlerisches Gewissen befriedigen. Dem reinen Gedanken diesem ohnehin lästigen, überflüssigen Kameraden bringt man nicht gern ein Opfer; auch nicht der denkenden Phantasie, denn auch diese erhebt unangenehme Ansprüche an die Bequemlichkeit. Zehn Mark für ein Diner aber hat man allemal übrig, und was man dem Gaumenschmaus bewilligt, das gönnt man doppelt freudig dem Ohrenschmaus, da sich bei diesem die oben geschilderten Nebenvorteile – Beruhigung des ästhetischen Gewissens – herausstellen. Wären diese Nebenvorteile mit dem Diner verknüpft, so wäre Diniren künftig die populärste und am meisten vergötterte Kunst. Macht es zur Mode, auserlesene Menus aus ästhetischen Gesichtspunkten durchzuspeisen, gebt den Leuten die Möglichkeit, von der stimmungsvollen Composition des Ragoûts, von der klassischen Structur der Pasteten und dem stilgerechten Arom des Fruchteises zu faseln, so wird vom Nordmeer bis zu den Alpen unter der heuchlerischen Maske des Kunstinteresses – sit venia verbo – gefressen werden, daß es nur so eine Art hat! Jede Indigestion gilt alsdann für ein Zeugniß artistischen Hochsinns; jeder Katzenjammer für die leuchtende Aureole des Auserwählten. Hübschen Köchinnen wird man die Pferde ausspannen; verdienstvolle Saucenkünstler werden in Lorbeer ersticken; Pastetenbäcker und Rôtisseurs geben Gastrollen zu tausend Dollars den Abend. Da dies leider noch nicht der Fall ist, so übt einstweilen der wohlfeile Musik-Enthusiasmus jene Tyrannis aus, die wir als conventionelle Rücksichtslosigkeit gegen die Schwesterkünste bezeichnet haben.
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