[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.gealterte Teil ist gerade die literarische Ausdrucksweise der Zeit. Man betrachte die Liebesdialoge bei Moliere, Corneille und Racine: alle die schönen Sachen, die darin gesagt werden, erscheinen uns heute schrecklich kalt und lächerlich, und doch entzückten sie einst die Zuschauer und mußten auf daß Publikum eine unfehlbares Wirkung ausüben, denn wir finden sie in allen Werken der Zeit wieder. Im achtzehnten Jahrhundert hat sich die Mode geändert; man liebt die Natur und die Tugend; aber, du lieber Gott, welches Pathos! Ich erkläre, daß es mir stets unmöglich gewesen ist, die "Nouvelle Heloise" ohne Gähnen zu lesen. Ihr Stil ist unerträglich geworden, trotzdem man seinetwegen soviel Tränen vergossen, trotzdem er soviel Herzklopfen verursacht hat. Das sollte uns wirklich zum Nachdenken veranlassen. Es gibt also in jeder literarischen Periode eine eigentümliche Sprache, die die Mode annimmt, die Jedermann bestrickt, die unmodern wird und die, nachdem sie die Bücher berühmt gemacht hat, dieselben ebenso der Vergessenheit überliefert. Aber wir müssen doch einmal unsere Sprache haben. Unglücklicherweise werden wir von der unsern durchaus nicht verletzt, während wir die Lächerlichkeiten der Sprache früherer Epochen klar und deutlich erkennen. Ich habe oft darüber nachgedacht, und es packt mich bei dem Gedanken, daß gewisse Sätze, die ich heute mit großem Vergnügen schreibe, in hundert Jahren Lachen erregen werden, ein gelinder Schauer. Das Schlimmste ist, ich bin schließlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Sprache unserer Zeit, dieser der Mode unterworfene Stil, welcher notgedrungen altern muß, eine der entsetzlichsten Verirrungen der französischen Sprache bleiben wird. Das läßt sich mit ziemlich mathematischer Gewißheit voraussagen. Was besondere altert, das sind die Bilder. gealterte Teil ist gerade die literarische Ausdrucksweise der Zeit. Man betrachte die Liebesdialoge bei Molière, Corneille und Racine: alle die schönen Sachen, die darin gesagt werden, erscheinen uns heute schrecklich kalt und lächerlich, und doch entzückten sie einst die Zuschauer und mußten auf daß Publikum eine unfehlbares Wirkung ausüben, denn wir finden sie in allen Werken der Zeit wieder. Im achtzehnten Jahrhundert hat sich die Mode geändert; man liebt die Natur und die Tugend; aber, du lieber Gott, welches Pathos! Ich erkläre, daß es mir stets unmöglich gewesen ist, die „Nouvelle Héloïse“ ohne Gähnen zu lesen. Ihr Stil ist unerträglich geworden, trotzdem man seinetwegen soviel Tränen vergossen, trotzdem er soviel Herzklopfen verursacht hat. Das sollte uns wirklich zum Nachdenken veranlassen. Es gibt also in jeder literarischen Periode eine eigentümliche Sprache, die die Mode annimmt, die Jedermann bestrickt, die unmodern wird und die, nachdem sie die Bücher berühmt gemacht hat, dieselben ebenso der Vergessenheit überliefert. Aber wir müssen doch einmal unsere Sprache haben. Unglücklicherweise werden wir von der unsern durchaus nicht verletzt, während wir die Lächerlichkeiten der Sprache früherer Epochen klar und deutlich erkennen. Ich habe oft darüber nachgedacht, und es packt mich bei dem Gedanken, daß gewisse Sätze, die ich heute mit großem Vergnügen schreibe, in hundert Jahren Lachen erregen werden, ein gelinder Schauer. Das Schlimmste ist, ich bin schließlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Sprache unserer Zeit, dieser der Mode unterworfene Stil, welcher notgedrungen altern muß, eine der entsetzlichsten Verirrungen der französischen Sprache bleiben wird. Das läßt sich mit ziemlich mathematischer Gewißheit voraussagen. Was besondere altert, das sind die Bilder. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0036" n="34"/> gealterte Teil ist gerade die literarische Ausdrucksweise der Zeit. Man betrachte die Liebesdialoge bei Molière, Corneille und Racine: alle die schönen Sachen, die darin gesagt werden, erscheinen uns heute schrecklich kalt und lächerlich, und doch entzückten sie einst die Zuschauer und mußten auf daß Publikum eine unfehlbares Wirkung ausüben, denn wir finden sie in allen Werken der Zeit wieder. Im achtzehnten Jahrhundert hat sich die Mode geändert; man liebt die Natur und die Tugend; aber, du lieber Gott, welches Pathos! Ich erkläre, daß es mir stets unmöglich gewesen ist, die „<hi rendition="#aq">Nouvelle Héloïse</hi>“ ohne Gähnen zu lesen. Ihr Stil ist unerträglich geworden, trotzdem man seinetwegen soviel Tränen vergossen, trotzdem er soviel Herzklopfen verursacht hat. Das sollte uns wirklich zum Nachdenken veranlassen. Es gibt also in jeder literarischen Periode eine eigentümliche Sprache, die die Mode annimmt, die Jedermann bestrickt, die unmodern wird und die, nachdem sie die Bücher berühmt gemacht hat, dieselben ebenso der Vergessenheit überliefert. Aber wir müssen doch einmal unsere Sprache haben. Unglücklicherweise werden wir von der unsern durchaus nicht verletzt, während wir die Lächerlichkeiten der Sprache früherer Epochen klar und deutlich erkennen. Ich habe oft darüber nachgedacht, und es packt mich bei dem Gedanken, daß gewisse Sätze, die ich heute mit großem Vergnügen schreibe, in hundert Jahren Lachen erregen werden, ein gelinder Schauer. Das Schlimmste ist, ich bin schließlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Sprache unserer Zeit, dieser der Mode unterworfene Stil, welcher notgedrungen altern muß, eine der entsetzlichsten Verirrungen der französischen Sprache bleiben wird. Das läßt sich mit ziemlich mathematischer Gewißheit voraussagen. Was besondere altert, das sind die Bilder. </p> </div> </body> </text> </TEI> [34/0036]
gealterte Teil ist gerade die literarische Ausdrucksweise der Zeit. Man betrachte die Liebesdialoge bei Molière, Corneille und Racine: alle die schönen Sachen, die darin gesagt werden, erscheinen uns heute schrecklich kalt und lächerlich, und doch entzückten sie einst die Zuschauer und mußten auf daß Publikum eine unfehlbares Wirkung ausüben, denn wir finden sie in allen Werken der Zeit wieder. Im achtzehnten Jahrhundert hat sich die Mode geändert; man liebt die Natur und die Tugend; aber, du lieber Gott, welches Pathos! Ich erkläre, daß es mir stets unmöglich gewesen ist, die „Nouvelle Héloïse“ ohne Gähnen zu lesen. Ihr Stil ist unerträglich geworden, trotzdem man seinetwegen soviel Tränen vergossen, trotzdem er soviel Herzklopfen verursacht hat. Das sollte uns wirklich zum Nachdenken veranlassen. Es gibt also in jeder literarischen Periode eine eigentümliche Sprache, die die Mode annimmt, die Jedermann bestrickt, die unmodern wird und die, nachdem sie die Bücher berühmt gemacht hat, dieselben ebenso der Vergessenheit überliefert. Aber wir müssen doch einmal unsere Sprache haben. Unglücklicherweise werden wir von der unsern durchaus nicht verletzt, während wir die Lächerlichkeiten der Sprache früherer Epochen klar und deutlich erkennen. Ich habe oft darüber nachgedacht, und es packt mich bei dem Gedanken, daß gewisse Sätze, die ich heute mit großem Vergnügen schreibe, in hundert Jahren Lachen erregen werden, ein gelinder Schauer. Das Schlimmste ist, ich bin schließlich zu der Ueberzeugung gekommen, daß die Sprache unserer Zeit, dieser der Mode unterworfene Stil, welcher notgedrungen altern muß, eine der entsetzlichsten Verirrungen der französischen Sprache bleiben wird. Das läßt sich mit ziemlich mathematischer Gewißheit voraussagen. Was besondere altert, das sind die Bilder.
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