[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.sich für vollendet hält und Alles perhorrescirt, was über die Linien des gegenwärtigen Typus in störender Weise hinausgreift. Ebenso notwendig jedoch, wie uns die Vorstellung eines derartig fortentwickelten Typus häßlich erscheint, ebenso notwendig wird jene Zukunfts-Menschheit unsern Typus abscheulich finden. Die medicäische Venus, vor welcher so und so viele Jahrtausende in Verzückung gerieten, muß jenen späteren Geschlechtern in ähnlicher Weise langarmig oder kleinköpfig erscheinen, wie uns die Neger oder Orang-Utangs. Das Schöne von Einst ist alsdann zum Unschönen von Jetzt geworden, und die "ewigen Gesetze der Schönheit" haben sich kläglich blamirt, wie so manche apodiktische These der Schulweisheit. Nur in einem Sinne gibt es ein Schönheitsgesetz, das voraussichtlich - das heißt, soweit wir mit dem vorhandenen Apparat unsers Denkens hierüber entscheiden können - dauernde Gültigkeit haben wird. Dies Gesetz lautet: Das herrschende Schönheits-Ideal wird sich stets mit dem geistigen und leiblichen Menschheits-Typus einer bestimmten Epoche decken. Die Sache ist eigentlich selbstverständlich, und die vorsichtige Fassung, die wir unsrer These gegeben haben, entspringt nur dem Bedürfniß einer gewissen stilistischen Decenz, die nicht den Ton der Unfehlbarkeit anschlagen möchte. Ja, die These ist streng genommen eine Tautologie. Es liegt klar auf der Hand - um zunächst bei dem, Kapitel der leiblichen Schönheit zu bleiben - daß jede Menschheit ihren eigenen derweiligen Typus schön finden muß. Dieses "Schönfinden" ist lediglich ein andrer Ausdruck für das Obwalten des Sexualtriebes, der sich zunächst in die sich für vollendet hält und Alles perhorrescirt, was über die Linien des gegenwärtigen Typus in störender Weise hinausgreift. Ebenso notwendig jedoch, wie uns die Vorstellung eines derartig fortentwickelten Typus häßlich erscheint, ebenso notwendig wird jene Zukunfts-Menschheit unsern Typus abscheulich finden. Die medicäische Venus, vor welcher so und so viele Jahrtausende in Verzückung gerieten, muß jenen späteren Geschlechtern in ähnlicher Weise langarmig oder kleinköpfig erscheinen, wie uns die Neger oder Orang-Utangs. Das Schöne von Einst ist alsdann zum Unschönen von Jetzt geworden, und die „ewigen Gesetze der Schönheit“ haben sich kläglich blamirt, wie so manche apodiktische These der Schulweisheit. Nur in einem Sinne gibt es ein Schönheitsgesetz, das voraussichtlich – das heißt, soweit wir mit dem vorhandenen Apparat unsers Denkens hierüber entscheiden können – dauernde Gültigkeit haben wird. Dies Gesetz lautet: Das herrschende Schönheits-Ideal wird sich stets mit dem geistigen und leiblichen Menschheits-Typus einer bestimmten Epoche decken. Die Sache ist eigentlich selbstverständlich, und die vorsichtige Fassung, die wir unsrer These gegeben haben, entspringt nur dem Bedürfniß einer gewissen stilistischen Decenz, die nicht den Ton der Unfehlbarkeit anschlagen möchte. Ja, die These ist streng genommen eine Tautologie. Es liegt klar auf der Hand – um zunächst bei dem, Kapitel der leiblichen Schönheit zu bleiben – daß jede Menschheit ihren eigenen derweiligen Typus schön finden muß. Dieses „Schönfinden“ ist lediglich ein andrer Ausdruck für das Obwalten des Sexualtriebes, der sich zunächst in die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0039" n="37"/> sich für vollendet hält und Alles perhorrescirt, was über die Linien des gegenwärtigen Typus in störender Weise hinausgreift.</p> <p>Ebenso notwendig jedoch, wie uns die Vorstellung eines derartig fortentwickelten Typus häßlich erscheint, ebenso notwendig wird jene Zukunfts-Menschheit unsern Typus abscheulich finden. Die medicäische Venus, vor welcher so und so viele Jahrtausende in Verzückung gerieten, muß jenen späteren Geschlechtern in ähnlicher Weise langarmig oder kleinköpfig erscheinen, wie uns die Neger oder Orang-Utangs. Das Schöne von Einst ist alsdann zum Unschönen von Jetzt geworden, und die „ewigen Gesetze der Schönheit“ haben sich kläglich blamirt, wie so manche apodiktische These der Schulweisheit.</p> <p>Nur in einem Sinne gibt es ein Schönheitsgesetz, das voraussichtlich – das heißt, soweit wir mit dem vorhandenen Apparat unsers Denkens hierüber entscheiden können – dauernde Gültigkeit haben wird. Dies Gesetz lautet: Das herrschende Schönheits-Ideal wird sich stets mit dem geistigen und leiblichen Menschheits-Typus einer bestimmten Epoche decken.</p> <p>Die Sache ist eigentlich selbstverständlich, und die vorsichtige Fassung, die wir unsrer These gegeben haben, entspringt nur dem Bedürfniß einer gewissen stilistischen Decenz, die nicht den Ton der Unfehlbarkeit anschlagen möchte.</p> <p>Ja, die These ist streng genommen eine Tautologie.</p> <p>Es liegt klar auf der Hand – um zunächst bei dem, Kapitel der leiblichen Schönheit zu bleiben – daß <hi rendition="#g">jede</hi> Menschheit ihren eigenen derweiligen Typus <hi rendition="#g">schön</hi> finden muß. Dieses „Schönfinden“ ist lediglich ein andrer Ausdruck für das Obwalten des Sexualtriebes, der sich zunächst in die </p> </div> </body> </text> </TEI> [37/0039]
sich für vollendet hält und Alles perhorrescirt, was über die Linien des gegenwärtigen Typus in störender Weise hinausgreift.
Ebenso notwendig jedoch, wie uns die Vorstellung eines derartig fortentwickelten Typus häßlich erscheint, ebenso notwendig wird jene Zukunfts-Menschheit unsern Typus abscheulich finden. Die medicäische Venus, vor welcher so und so viele Jahrtausende in Verzückung gerieten, muß jenen späteren Geschlechtern in ähnlicher Weise langarmig oder kleinköpfig erscheinen, wie uns die Neger oder Orang-Utangs. Das Schöne von Einst ist alsdann zum Unschönen von Jetzt geworden, und die „ewigen Gesetze der Schönheit“ haben sich kläglich blamirt, wie so manche apodiktische These der Schulweisheit.
Nur in einem Sinne gibt es ein Schönheitsgesetz, das voraussichtlich – das heißt, soweit wir mit dem vorhandenen Apparat unsers Denkens hierüber entscheiden können – dauernde Gültigkeit haben wird. Dies Gesetz lautet: Das herrschende Schönheits-Ideal wird sich stets mit dem geistigen und leiblichen Menschheits-Typus einer bestimmten Epoche decken.
Die Sache ist eigentlich selbstverständlich, und die vorsichtige Fassung, die wir unsrer These gegeben haben, entspringt nur dem Bedürfniß einer gewissen stilistischen Decenz, die nicht den Ton der Unfehlbarkeit anschlagen möchte.
Ja, die These ist streng genommen eine Tautologie.
Es liegt klar auf der Hand – um zunächst bei dem, Kapitel der leiblichen Schönheit zu bleiben – daß jede Menschheit ihren eigenen derweiligen Typus schön finden muß. Dieses „Schönfinden“ ist lediglich ein andrer Ausdruck für das Obwalten des Sexualtriebes, der sich zunächst in die
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