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[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

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müssen. Aber zu fordern, daß Jedermann die Tonkunst auch praktisch executire, das ist nicht wesentlich klüger, als wenn man verlangen wollte, daß Jedermann Zweiradfahrer, Seiltänzer oder Equilibrist sei. Thatsächlich wird diese unberechtigte Anforderung denn auch später, sobald die musikalisch-vergewaltigten Kinder erwachsen sind, durch den naturgemäßen Verlauf der Dinge in ihrer Absurdität enthüllt. Von zehn Kindern, die ihre beste Zeit mit hirnzermarternden Einpaukereien vergeudet haben, bleibt höchstens ein einziges als erwachsener Mensch dem von ihm bearbeiteten Instrument wirklich treu. Auf die Frage: "Spielst du Klavier?" erhält man fast immer eine geschraubte, ausweichende Antwort, die in korrektes Deutsch übersetzt, lauten würde: "Ich hab' es gelernt, aber ich kann's nicht."

Nun könnte man zwar behaupten: Das Resultat ist allerdings in den meisten Fällen ein negatives, aber der Weg, den man gewandelt ist, hat einen bleibenden Segen gestiftet; man hat marschieren gelernt; die Sache vergleicht sich etwa dem Studium der klassischen Sprachen, die ja gleichfalls später vernachlässigt werden, aber doch während der Tage des Studiums die Seele befruchtet haben ...

Das klingt sehr schön, aber just das Gegenteil ist der Fall. Der musikalisch-talentlose Schüler -- und musikalisch talentlos ist die immense Majorität -- wird durch den Zwangsunterricht der hier naturgemäß immer Dressur bleibt, keineswegs geistig oder gemütlich veredelt, sondern geschädigt.

Soll die Musik auf das musikalisch-talentlose Kindergemüt veredelnd einwirken, so muß das Kind gute und seinem schlichten Verständniß angepaßte Musikstücke in künstlerischer Ausführung hören. Das selbstthätige Stümpern

müssen. Aber zu fordern, daß Jedermann die Tonkunst auch praktisch executire, das ist nicht wesentlich klüger, als wenn man verlangen wollte, daß Jedermann Zweiradfahrer, Seiltänzer oder Equilibrist sei. Thatsächlich wird diese unberechtigte Anforderung denn auch später, sobald die musikalisch-vergewaltigten Kinder erwachsen sind, durch den naturgemäßen Verlauf der Dinge in ihrer Absurdität enthüllt. Von zehn Kindern, die ihre beste Zeit mit hirnzermarternden Einpaukereien vergeudet haben, bleibt höchstens ein einziges als erwachsener Mensch dem von ihm bearbeiteten Instrument wirklich treu. Auf die Frage: „Spielst du Klavier?“ erhält man fast immer eine geschraubte, ausweichende Antwort, die in korrektes Deutsch übersetzt, lauten würde: „Ich hab’ es gelernt, aber ich kann’s nicht.“

Nun könnte man zwar behaupten: Das Resultat ist allerdings in den meisten Fällen ein negatives, aber der Weg, den man gewandelt ist, hat einen bleibenden Segen gestiftet; man hat marschieren gelernt; die Sache vergleicht sich etwa dem Studium der klassischen Sprachen, die ja gleichfalls später vernachlässigt werden, aber doch während der Tage des Studiums die Seele befruchtet haben ...

Das klingt sehr schön, aber just das Gegenteil ist der Fall. Der musikalisch-talentlose Schüler — und musikalisch talentlos ist die immense Majorität — wird durch den Zwangsunterricht der hier naturgemäß immer Dressur bleibt, keineswegs geistig oder gemütlich veredelt, sondern geschädigt.

Soll die Musik auf das musikalisch-talentlose Kindergemüt veredelnd einwirken, so muß das Kind gute und seinem schlichten Verständniß angepaßte Musikstücke in künstlerischer Ausführung hören. Das selbstthätige Stümpern

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[54/0056] müssen. Aber zu fordern, daß Jedermann die Tonkunst auch praktisch executire, das ist nicht wesentlich klüger, als wenn man verlangen wollte, daß Jedermann Zweiradfahrer, Seiltänzer oder Equilibrist sei. Thatsächlich wird diese unberechtigte Anforderung denn auch später, sobald die musikalisch-vergewaltigten Kinder erwachsen sind, durch den naturgemäßen Verlauf der Dinge in ihrer Absurdität enthüllt. Von zehn Kindern, die ihre beste Zeit mit hirnzermarternden Einpaukereien vergeudet haben, bleibt höchstens ein einziges als erwachsener Mensch dem von ihm bearbeiteten Instrument wirklich treu. Auf die Frage: „Spielst du Klavier?“ erhält man fast immer eine geschraubte, ausweichende Antwort, die in korrektes Deutsch übersetzt, lauten würde: „Ich hab’ es gelernt, aber ich kann’s nicht.“ Nun könnte man zwar behaupten: Das Resultat ist allerdings in den meisten Fällen ein negatives, aber der Weg, den man gewandelt ist, hat einen bleibenden Segen gestiftet; man hat marschieren gelernt; die Sache vergleicht sich etwa dem Studium der klassischen Sprachen, die ja gleichfalls später vernachlässigt werden, aber doch während der Tage des Studiums die Seele befruchtet haben ... Das klingt sehr schön, aber just das Gegenteil ist der Fall. Der musikalisch-talentlose Schüler — und musikalisch talentlos ist die immense Majorität — wird durch den Zwangsunterricht der hier naturgemäß immer Dressur bleibt, keineswegs geistig oder gemütlich veredelt, sondern geschädigt. Soll die Musik auf das musikalisch-talentlose Kindergemüt veredelnd einwirken, so muß das Kind gute und seinem schlichten Verständniß angepaßte Musikstücke in künstlerischer Ausführung hören. Das selbstthätige Stümpern

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Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/56>, abgerufen am 24.11.2024.