auch wir geboren worden, und bald wieder verschwunden. (Weish. 5, 9.) Jede bejahrte Mutter wird in diesen Worten ihr eigenes Leben gezeichnet finden. Wie rasch wurde das Mädchen zur Jungfrau, zur Braut, zur Gattin, zur Mutter, zur Großmutter! Die Jahre enteilten mit der Schnelligkeit des Vo- gels und des Pfeiles, und jetzt wankt sie dem Grabe entgegen, bald wird sie in dasselbe sinken und nach einiger Zeit vergessen sein. Ueber ihrem Grabe werden andere als Kinder den Lebens- lauf beginnen und ebenso rasch dem Alter zueilen, wenn ihr Lebensfaden nicht schon früher zerrissen wird. Die junge Braut prangt wie ein blühen- der Baum des Frühlings, aber es braucht nur einige Jahre, die dahin- eilen wie ein kurzer Sommer, und sie wird dem herbstlichen Baum mit da- hingewelkten Blättern und kahlen Zwei- gen ähnlich sein. Der weise Mann in der heiligen Schrift bricht bei der
auch wir geboren worden, und bald wieder verschwunden. (Weish. 5, 9.) Jede bejahrte Mutter wird in diesen Worten ihr eigenes Leben gezeichnet finden. Wie rasch wurde das Mädchen zur Jungfrau, zur Braut, zur Gattin, zur Mutter, zur Großmutter! Die Jahre enteilten mit der Schnelligkeit des Vo- gels und des Pfeiles, und jetzt wankt sie dem Grabe entgegen, bald wird sie in dasselbe sinken und nach einiger Zeit vergessen sein. Ueber ihrem Grabe werden andere als Kinder den Lebens- lauf beginnen und ebenso rasch dem Alter zueilen, wenn ihr Lebensfaden nicht schon früher zerrissen wird. Die junge Braut prangt wie ein blühen- der Baum des Frühlings, aber es braucht nur einige Jahre, die dahin- eilen wie ein kurzer Sommer, und sie wird dem herbstlichen Baum mit da- hingewelkten Blättern und kahlen Zwei- gen ähnlich sein. Der weise Mann in der heiligen Schrift bricht bei der
<TEI><text><body><div><div><p><pbfacs="#f0338"xml:id="E29_001_1914_pb0330_0001"n="330"/>
auch wir geboren worden, und bald<lb/>
wieder verschwunden. (Weish. 5, 9.)<lb/>
Jede bejahrte Mutter wird in diesen<lb/>
Worten ihr eigenes Leben gezeichnet<lb/>
finden. Wie rasch wurde das Mädchen<lb/>
zur Jungfrau, zur Braut, zur Gattin,<lb/>
zur Mutter, zur Großmutter! Die Jahre<lb/>
enteilten mit der Schnelligkeit des Vo-<lb/>
gels und des Pfeiles, und jetzt wankt<lb/>
sie dem Grabe entgegen, bald wird sie<lb/>
in dasselbe sinken und nach einiger<lb/>
Zeit vergessen sein. Ueber ihrem Grabe<lb/>
werden andere als Kinder den Lebens-<lb/>
lauf beginnen und ebenso rasch dem<lb/>
Alter zueilen, wenn ihr Lebensfaden<lb/>
nicht schon früher zerrissen wird. Die<lb/>
junge Braut prangt wie ein blühen-<lb/>
der Baum des Frühlings, aber es<lb/>
braucht nur einige Jahre, die dahin-<lb/>
eilen wie ein kurzer Sommer, und sie<lb/>
wird dem herbstlichen Baum mit da-<lb/>
hingewelkten Blättern und kahlen Zwei-<lb/>
gen ähnlich sein. Der weise Mann<lb/>
in der heiligen Schrift bricht bei der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[330/0338]
auch wir geboren worden, und bald
wieder verschwunden. (Weish. 5, 9.)
Jede bejahrte Mutter wird in diesen
Worten ihr eigenes Leben gezeichnet
finden. Wie rasch wurde das Mädchen
zur Jungfrau, zur Braut, zur Gattin,
zur Mutter, zur Großmutter! Die Jahre
enteilten mit der Schnelligkeit des Vo-
gels und des Pfeiles, und jetzt wankt
sie dem Grabe entgegen, bald wird sie
in dasselbe sinken und nach einiger
Zeit vergessen sein. Ueber ihrem Grabe
werden andere als Kinder den Lebens-
lauf beginnen und ebenso rasch dem
Alter zueilen, wenn ihr Lebensfaden
nicht schon früher zerrissen wird. Die
junge Braut prangt wie ein blühen-
der Baum des Frühlings, aber es
braucht nur einige Jahre, die dahin-
eilen wie ein kurzer Sommer, und sie
wird dem herbstlichen Baum mit da-
hingewelkten Blättern und kahlen Zwei-
gen ähnlich sein. Der weise Mann
in der heiligen Schrift bricht bei der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Egger, Augustin: Die christliche Mutter. Erbauungs- und Gebetbuch. - Einsiedeln u. a., [1914], S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/egger_mutter_1914/338>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.