Ernst zu zeigen. Es soll das möglichst eindring- lich, aber auch möglichst würdig geschehen. Als Student brachte ich einmal meine Fe- rien in einem gutkatholischen Hause der West- schweiz zu. Wir saßen an einem Sonntage beim Mittagstische, als sich die Thüre öffnete, und der älteste Sohn des Hauses eintrat, der in Deutschland studiert hatte und nun in die Ferien heimkehrte. Ich sah, wie die Mienen des Vaters sich plötzlich verfinsterten, und noch ehe der Sohn die Thüre geschlossen hatte, rief er ihm entgegen: "Wo bist du in der Messe gewesen?" Der Sohn stammelte einige Entschuldigungen: Die Post (es war vor der Zeit der Eisenbahnen) sei um sechs Uhr von B. abgefahren, und sie hätten sich umsonst bemüht, vorher einer Messe beizu- wohnen. Der Vater verweigerte dem Sohne die Hand zum Willkomm, redete per "Sie" mit ihm, und ließ ihn bei Tische bedienen, wie man einen Fremden im Hotel bedient. Es brauchte die Vermittlung der Mutter, bis der Jüng- ling am anderen Tage vom Vater wieder als Sohn des Hauses behandelt und mit "Du" angeredet wurde. Ich habe noch wenige Scenen erlebt, die mich so tief ergriffen haben, wie diese Lektion eines Vaters an seinen Sohn.
Ernst zu zeigen. Es soll das möglichst eindring- lich, aber auch möglichst würdig geschehen. Als Student brachte ich einmal meine Fe- rien in einem gutkatholischen Hause der West- schweiz zu. Wir saßen an einem Sonntage beim Mittagstische, als sich die Thüre öffnete, und der älteste Sohn des Hauses eintrat, der in Deutschland studiert hatte und nun in die Ferien heimkehrte. Ich sah, wie die Mienen des Vaters sich plötzlich verfinsterten, und noch ehe der Sohn die Thüre geschlossen hatte, rief er ihm entgegen: „Wo bist du in der Messe gewesen?“ Der Sohn stammelte einige Entschuldigungen: Die Post (es war vor der Zeit der Eisenbahnen) sei um sechs Uhr von B. abgefahren, und sie hätten sich umsonst bemüht, vorher einer Messe beizu- wohnen. Der Vater verweigerte dem Sohne die Hand zum Willkomm, redete per „Sie“ mit ihm, und ließ ihn bei Tische bedienen, wie man einen Fremden im Hotel bedient. Es brauchte die Vermittlung der Mutter, bis der Jüng- ling am anderen Tage vom Vater wieder als Sohn des Hauses behandelt und mit „Du“ angeredet wurde. Ich habe noch wenige Scenen erlebt, die mich so tief ergriffen haben, wie diese Lektion eines Vaters an seinen Sohn.
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Ernst zu zeigen. Es soll das möglichst eindring-
lich, aber auch möglichst würdig geschehen.
Als Student brachte ich einmal meine Fe-
rien in einem gutkatholischen Hause der West-
schweiz zu. Wir saßen an einem Sonntage
beim Mittagstische, als sich die Thüre öffnete,
und der älteste Sohn des Hauses eintrat,
der in Deutschland studiert hatte und nun
in die Ferien heimkehrte. Ich sah, wie die
Mienen des Vaters sich plötzlich verfinsterten,
und noch ehe der Sohn die Thüre geschlossen
hatte, rief er ihm entgegen: „Wo bist du in
der Messe gewesen?“ Der Sohn stammelte
einige Entschuldigungen: Die Post (es war
vor der Zeit der Eisenbahnen) sei um sechs
Uhr von B. abgefahren, und sie hätten sich
umsonst bemüht, vorher einer Messe beizu-
wohnen. Der Vater verweigerte dem Sohne
die Hand zum Willkomm, redete per „Sie“ mit
ihm, und ließ ihn bei Tische bedienen, wie man
einen Fremden im Hotel bedient. Es brauchte
die Vermittlung der Mutter, bis der Jüng-
ling am anderen Tage vom Vater wieder
als Sohn des Hauses behandelt und mit „Du“
angeredet wurde. Ich habe noch wenige
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Egger, Augustinus: Der christliche Vater in der modernen Welt. Erbauungs- und Gebetbuch. Einsiedeln u. a., [1895], S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/egger_vater_1895/179>, abgerufen am 21.11.2024.
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